Er verlor seine ersten fünf Grand-Slam-Finals – aber gab nicht auf
Wenn man sich eine Vorstellung davon machen möchte, wie das Tennisparadies aussehen könnte, dann landet man im Australien der Sechzigerjahre. Down Under war damals noch viel weiter weg als heute, aber die Tennisspieler jener Zeit brachten das Land, den Kontinent auch den Menschen nahe, die nie in ihrem Leben nach Australien kommen würden.
Roy Emerson, Ken Rosewall, Tony Roche, Neale Fraser, John Newcombe, Rod Laver, Ken Fletcher und Fred Stolle bei den Männern, Margaret Court, Jan Lehane bei den Frauen: Australien war die Macht, die Australian Open in den Sechzigern hatten zehn australische Sieger bei den Herren. Dazu kamen acht Wimbledonsiege. Australien war das Land der Sieger im Tennis – und da mutet es dann schon bemerkenswert an, dass Fred Stolle, einer der ganz Großen jener Zeit, als einer der berühmtesten Verlierer im Gedächtnis bleibt.
Spitzname: der feurige Fred
Stolle, Spitzname Fiery Fred, der feurige Fred, stand von 1963 bis 1965 fünfmal in einem Grand-Slam-Finale, allein das verbietet eigentlich den Umstand, von einem Verlierer zu sprechen, aber fünfmal war er am Ende der Unterlegene. Viermal hieß sein Gegner Roy Emerson, zweimal bei den Australian Open, einmal in Wimbledon, einmal bei den US Championships, die damals noch nicht Open hießen. Man kann sagen, der Landsmann war sein Kryptonit.
Fünf Grand-Slam-Finals am Stück zu verlieren, man könnte denken, das demoralisiert. Aber dazu war Stolle in diesem Jahr 1965 einfach zu stark, irgendwann muss diese Serie reißen, wenn man so ein makelloses Volleyspiel besitzt wie er, wenn man im Überkopfspiel beinahe jeden Ball an die gewünschte Stelle setzt. Dieses Irgendwann kam bei den French Open 1965.
Im sechsten Anlauf am Ziel
Die französischen Tennismeisterschaften mit ihrem Sandplatzbelag sind das Grand-Slam-Turnier, das von den Australiern traditionell am wenigsten gemocht wird. Hier können sie ihr geliebtes schnelles Serve-and-Volley nicht so erfolgreich anwenden, weil die Aschenplatzspezialisten auf der anderen Seite des Netzes so grausam geduldig sind und am liebsten den Ball fünfzigmal hin- und herschlagen und nur darauf warten, dass ihre Gegner nach vorn stürmen, um sie dann zu passieren.
Es ist kein Zufall, dass kein Australier in den vergangenen 55 Jahren in der Siegerliste der French Open auftaucht, aber die Sechzigerjahre waren anders. Emerson, Rosewall, Laver, sie waren solch perfekte Tennisspieler, dass sie auch auf Sand erfolgreich Druck ausüben konnten. Unüberwindbar am Netz, egal welcher Belag unter ihren Füßen war. So traf Stolle im Endspiel, man möchte sagen natürlich, auf einen Landsmann, aber es war diesmal nicht Emerson, den Stolle im Halbfinale ausschalten konnte, sondern Tony Roche, später berühmt als Trainer von Ivan Lendl.
Zweiter Grand-Slam-Titel in den USA
3:6, 6:0, 6:2, 6:3 – eine letztlich klare Angelegenheit, im sechsten Anlauf war Fred Stolle endlich am Ziel, und er stemmte die Siegestrophäe in den Himmel von Paris. Nicht mal zwei Monate später stand er in seinem dritten Grand-Slam-Endspiel 1965, Wimbledon, der Gegner allerdings hieß Roy Emerson. Man muss nicht mehr gesondert erwähnen, wie es ausging.
Ein Jahr später holte sich Stolle seinen zweiten Grand-Slam-Erfolg in Forest Hills, auf Gras damals noch. Wieder stand ihm ein Australier im Weg, John Newcombe, es wurde ein dramatisches Vier-Satz-Finale mit einem 12:10 im zweiten Satz.
Im Doppel fast unschlagbar
Er habe sich gegen jeden Gegner der Welt wohlgefühlt, nur eben nicht gegen Emerson, hat Stolle in der Rückschau mal gesagt. Seine Grand-Slam-Sammlung betrug am Ende dennoch 19 Titel: zehn im Doppel, sieben im Mixed, schließlich ist er nicht umsonst Australier, und wenn sie schon im Einzel dominant waren – im Doppel waren sie so gut wie unschlagbar.
Allein 15 Mal stand Stolle in den Sechzigern in einem Doppelendspiel bei einem Grand-Slam-Turnier, meistens an der Seite von Bob Hewitt, sechsmal davon stand Emerson ihm als Finalgegner gegenüber – und viermal war er sein Partner. Die Rivalität ging nicht so weit, dass sie nicht auch gern gemeinsam gewonnen haben.
Der Playboy und der Gentleman
Fred Stolle beendete seine aktive Karriere Mitte der Siebzigerjahre und wechselte sofort die Seite. Als Coach trainierte er den exzentrischen US-Star Vitas Gerulaitis sechs Jahre lang, sie waren ein bemerkenswertes Duo. Gerulaitis, der Tennis-Playboy, und Stolle, der Tennis-Gentleman. Die Arbeitsbeziehung begann gleich mit dem Sieg des US-Stars bei den Australian Open, zweimal noch coachte er Gerulaitis bis in ein Grand-Slam-Finale, beide Endspiele gingen verloren. Stolle konnte das nachvollziehen.
Die Tennisstimme von ESPN
Tennis blieb sein Match, irgendwann war er nicht mehr Spieler, nicht mehr Trainer, er wurde die Stimme des Sports. Fast 20 Jahre kommentierte er an der Seite seines kongenialen Partners Cliff Drysdale für ESPN alle großen Tennisspiele. Im Tonfall mit fast britischem Humor, volltönend in der Stimme, das »Tennis Magazin« verglich ihn in seinem Nachruf mit dem früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und schrieb ihm noch zusätzlich eine Mischung aus Peter Ustinov und Loriot zu. Mehr Gentleman ist wohl nicht mehr vorstellbar.
Dass sein Sohn Sandon ein exzellenter Doppelspieler wurde, versteht sich fast von selbst. Die große Zeit der Australier konnte Stolle junior allerdings nicht mehr wiederbeleben.
Im Dezember starb Neale Fraser, der frühere Wimbledonsieger, nun folgte ihm am Donnerstag Stolle im Alter von 86 Jahren. Aus dem Tennisparadies ist Australien schon lange vertrieben. Fred Stolle, der feurige Fred, hat es noch erlebt.
Fred Stolle konnte es noch mit 86, hier bei einem Showmatch in Melbourne im Januar
Foto: Elizabeth Hanna / EPAGeehrt bei den French Open 2015, 50 Jahre nach seinem Triumph
Foto: David Vincent / APAls Tennisreporter fast so legendär wie als Spieler
Foto: Elizabeth Hanna / EPA