"Er ist für mich der moderne George Foreman"

Sükrü Aksu hat seine Stimme in der Wüste gelassen. Mit vollem Einsatz in der Ringecke trieb der Trainer-Fuchs seinen Schützling Agit Kabayel in Riad zu einem spektakulären K.-o.-Triumph über China-Koloss Zhang Zhilei. Der Lohn: Kabayel ist nun WBC-Interims-Weltmeister und Pflichtherausforderer von Schwergewichts-König Oleksandr Usyk.

Nach ein paar Tagen zu Hause in Velbert ist Aksu nur noch etwas heiser als sport.de und ntv.de durchklingeln. Im exklusiven Interview erläutert der 58-Jährige, wie Kabayel den Kampf gewann, spricht über mögliche Duelle mit Usyk oder Wladimir Klitschko - und zieht einen Vergleich mit einer Box-Ikone.

ntv.de: Sükrü, Sie sind seit mehr als einem Jahrzehnt Agit Kabayels Trainer, kennen ihn, seit er ein Teenager ist. Jetzt haben Sie zusammen im Rahmen der spektakulärsten Box-Show der jüngeren Geschichte in Riad den größten Erfolg ihrer Karriere gefeiert. Danach wirkten Sie vor Stolz gerührt, fast ein wenig wie ein stolzer Vater - nehmen Sie uns mit in ihr Herz.

Sükrü Aksu: Wenn man an einem so schönen Ziel angekommen ist … (überlegt, wird emotional). Man arbeitet sein ganzes Leben lang und bekommt immer Steine in den Weg gelegt und schafft diesen Weg trotzdem. Das war einfach ein tolles Gefühl.

Gerade auch weil Sie so ein inniges Verhältnis haben - also nicht nur ein sportlich-professionelles, sondern eine Art Vater-Sohn-Beziehung?

Ich kenne Agit wohl besser als fast jeder sonst, fast so gut wie seine Eltern. Ich weiß, wie er tickt. Agit ist ein sauberer, korrekter Junge. Was meinen Sie, wie viele Angebote er am Tag bekommt, dass er mich verlassen soll, wie viele Schlauberger sagen, er soll den Trainer wechseln. Macht er nicht. Da bin ich ihm auch dankbar. Nehmen und geben - so ist das im Leben.

Gestern hat mich Ulli Wegner angerufen, da war ich so richtig happy. Wilfried Sauerland hat mir persönlich geschrieben. Wir haben das zusammen geschafft, allein geht es nicht. Viele, die unsere Leistung jetzt anerkennen, sehen, dass wir überall immer im Team arbeiten.

Mit Zhang Zhilei hat Agit Kabayel jetzt den dritten Brocken in Folge nach Arslanbek Makhmudov (Ende 2023) und Frank Sanchez (Mai 2024) aus dem Weg geräumt. Wie haben Sie diesen Riesen-Koloss aus China gefällt?

Wenn man sieht, wie hart die erste Runde war - da haben wir schnell umgestellt, um in einer ganz anderen Dimension zu boxen. Wir haben Zhang durcheinandergebracht. Sein Trainer kam nach dem Kampf zu uns in die Kabine und sagte, ich hätte einen starken Game Plan gehabt, mit dem er nicht gerechnet hat. Das spricht für uns. Ich kann in einem Kampf sofort umstellen, das spricht für mich denke ich.

Wie sah das denn aus in der Ecke: Welche Marschroute haben Sie nach Runde 1, in der Zhang harte Treffer gelandet hat, ausgegeben?

Agit hat in dieser Runde Schläge eingesteckt, die viele andere Schwergewichtler ausgeknockt hätten. Dann haben wir gesagt: Jetzt machen wir Druck! Ich war mir sicher: So ein Koloss - 1,98 Meter, 130 Kilo - kann diesem Druck nicht standhalten, es sei denn, er schlägt einen K.o. Die Gefahr war da, so wie in der fünften Runde. Wir sind in die Gefahrenzone, sind volles Risiko gegangen. Ich war früher selbst Rechtsausleger wie Zhang und habe Agit so eingestellt, dass ihm das am Ende gar nichts mehr ausgemacht hat.

Wie würden Sie Agit Kabayels Stil beschreiben? Es hatte etwas von einem Bochumer Bulldozer …

Agit ist für mich der moderne George Foreman. Er marschiert nach vorne, hat in diesem Kampf gekämpft wie früher Foreman. Wie leicht Agit den Oberkörper wechselt und Schläge kombiniert - das hat er perfekt gemacht. Es gibt keinen Schwergewichtler, der so viele Kombinationen schlägt. Und das gegen so einen großen Weltklasse-Mann. Man darf nicht vergessen: So wie Zhang für seine Größe und sein Gewicht geboxt hat, das war schon sensationell. Er weiß, wo er hinhaut und schlägt auch nicht nur Einzelhände.

Hatten Sie einen besonderen Kniff, um Ihren Boxer zwischen den Runden einzustellen? Sie sind für klare, kurze Ansagen in der Pause bekannt.

Ich hab' ihm gesagt: Pass jetzt auf, dass du nix aufn Kopp kriegst! Dann habe ich ihm gesagt: Weißt du was, steh mal auf. Er fragt: Warum? Ich sag: Steh auf - 30 Sekunden, bevor es wieder losging. Das war in der zweiten oder dritten Runde. Da habe ich gesehen, wie der Trainer von Zhang rübergeguckt hat. Die sind durcheinandergekommen, die haben gedacht: Oh, der steht nach diesen Treffern ja schon wieder in seiner Ecke und will loslegen. Wir wollten Zhang auch psychisch kaputt machen.

Danach hatte Ihr Mann den Kampf total im Griff. Aber die fünfte Runde haben Sie schon angesprochen: Da machte es auf einmal Buff und Agit Kabayel lag am Boden. Er hat dann sofort auch in die Ecke geschaut: Was haben Sie ihm in diesem kritischen Moment mitgegeben?

Es war ein Treffer ja, ein Wachmacher. Wenn man einen richtigen Volltreffer kassiert, fällt man auf den Hinterkopf. Agit ist seitlich gefallen und hat sich mit dem Arm abgestützt. Der Schlag war gut drin, aber Agits Gleichgewicht war auch nicht da in dem Moment. Er hat mich angeschaut, ich hab ihn angeschaut. Bin da, hat er gesagt. Da hab' ich gesagt: Alles klar! Dann habe ich geschrien: Agit, nicht stehen bleiben!

Ich kenne Agit, der wollte direkt eine Schlägerei und dem Chinesen zeigen, dass da doch gar nix war. Das wäre in dem Moment aber ein Fehler gewesen. Zhang hat eine zweite Luft bekommen und der kann hauen, ist ein Schwergewichtler durch und durch. Jeder Schlag von ihm kann einen schlafen schicken. Dieses Risiko wollten wir nicht eingehen. Ich habe gesagt: Beweg dich! Als er sich erholt hatte und wieder richtig gut drin war im Kampf, ist er wieder langsam losmarschiert und hinten raus in der Runde war er wieder der Bessere.

Agit stand trotz der harten Linken auch sofort wieder auf festen Beinen: Ein Wort zu seinem Kinn …

Eisenkinn würde ich sagen (atmet durch). Der hat schon in der ersten Runde ein paar Sachen geschluckt, da habe ich gedacht: Boah, was ist das denn?! Wenn wir so weitergeboxt hätten, hätten wir verloren. Man darf Zhang nicht machen lassen, das hat man ja schon gegen Joe Joyce (2023, d.Red.) gesehen. Dann ist es vorbei. Wir haben das gemacht, womit keiner gerechnet hat: Wir haben den nicht boxen lassen.

Zhang hat mit jeder Runde, jeder Minute schwerer geatmet, hat nach Luft gejapst - ein Ergebnis der ständigen Körperattacken …

Agit weiß, wo die Leber sitzt (schmunzelt). Er ist durch die Mitte zur Leber gegangen. Das kann ich erklären: Zhang hat lange Arme, dann ist die Leber seitlich zu. Wir haben im Training immer geübt, die Leber durch die Mitte zu treffen. Später hat Agit dann auch von der Seite getroffen, aber die meisten Schläge kamen durch die Mitte, die konnte Zhang nicht decken. Das war ein entscheidender Punkt. Außerdem hat Agit den rechten Cross oben super ins Ziel gebracht. Zhang wusste irgendwann gar nicht mehr, wo er decken soll: oben oder unten. Die Variation passte gut.

Ich wiederhole mich: Ich habe Agit gesehen und gedacht, das gibt's doch nicht! Der sieht aus wie George Foreman. Nur nach vorne.

Kurz vor der sechsten Runde haben Sie geschrien: "Agit, in drei Runden ist der Kampf zu Ende." Da haben Sie sich geirrt …

Ich hatte schon nach der zweiten Runde gesehen, wie weit Zhang den Mund aufhatte. Er hat schwer und laut geatmet. Das ist ein Mensch, keine Maschine. Er hat mit sich selbst gekämpft und mit Agit. Agit dagegen hat nur mit Zhang gekämpft. Zhang musste irgendwo Luft herholen, aber Agit hing an ihm dran wie ein Magnet, hat ihn nicht in Ruhe gelassen. Das hat Zhang richtig gestört, deswegen hat er Agit auch immer wieder weggeschoben. Ich habe Agit gesagt: Mach Druck, mach ihn nervös! Er sollte ständig arbeiten, dass Zhang keine Luft mehr bekommt.

Agit haut beim Pratzen-Training pro Runde zwischen 120 und 180 Hände. Am ersten Trainingstag in Riad hatte ich selbst nach drei Runden keine Kraft mehr, die Hände hochzuhalten, weil der Junge immer marschiert. Das war Zhangs Fehler: Er hat versucht, mitzukämpfen, statt Agit auszuboxen. Da war mir klar: Das schafft der in 100 Jahren nicht. Das Tempo war zu hoch für so einen großen Mann.

Agit Kabayel ist beim WBC jetzt "Interims"-Weltmeister und damit Pflichtherausforderer von Schwergewichts-König Oleksandr Usyk. Die große Frage lautet: Wie geht es weiter?

Das weiß ich nicht, das machen die Manager. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Usyk freiwillig gegen Agit kämpfen will. Usyk hat gesagt, er will noch zweimal boxen: Warum soll er gegen uns boxen? Wenn er gegen Agit kämpft, muss Usyk noch mehr abrufen als gegen Tyson Fury. Beide sind gleich groß, beide sind schnell. Ich habe Usyk am Ring in Riad gesehen: Er hat Agit ganz genau verfolgt und ernst geguckt.

Apropos Usyk: Der Ukrainer hat Kabayel persönlich einen WBC-Gürtel umgeschnallt. Was ging da in Ihrem Kopf vor, als diese Legende, dieser künftige Hall-of-Famer den Titel überreichte?

Ein tolles Gefühl. Usyk ist ein toller Kämpfer, an den wird man sich immer erinnern. Der Junge hat so oft als Außenseiter geboxt und immer gewonnen - Respekt! Und was mir besonders gefallen hat: Usyk hat Agits Namen perfekt ausgesprochen. Das heißt, er hat sich mit ihm schon beschäftigt.

Wenn wir schon dabei sind: Wer hat denn sonst noch so gratuliert? Es waren ja jede Menge Stars und Box-Größen in Riad …

Oscar de la Hoya, Bernard Hopkins, Lennox Lewis natürlich. Der hat mich angetitscht und gesagt: Good Job! Vor dem Kampf haben mich viele andere Trainer noch nicht mal angeguckt, danach haben alle gratuliert - ausnahmslos. Das war schön. Und dann hat wie gesagt Herr Wegner angerufen. Ich geh' ans Telefon, ist Herr Wegner dran. Ich wusste gar nicht, wie ich reden, was ich sagen sollte. Der Mann hat alles gesehen, ist eine lebende Legende. Wenn so jemand anruft - ist doch eine schöne Sache.

Zurück zur Frage, wie es weitergeht. Sollte Usyk nicht gegen Kabayel boxen, wäre der WBC-Titel vakant. Dann könnte Ihr Boxer automatisch zum vollwertigen Weltmeister hochgestuft werden oder gegen einen anderen um die Krone boxen. So oder so - der nächste Kampf muss doch ein WM-Kampf sein …

Muss sein! Man hat uns schon beim letzten Kampf gegen Sanchez hingehalten. Wir wollen Weltmeister werden. Jetzt müssen sie uns die Chance geben. Wir haben jetzt mit Frank Warren und Spencer Brown auch Leute an unserer Seite, die Macht und Einfluss haben.

Der saudische Strippenzieher Turki Al-Sheikh macht keinen Hehl daraus, dass er sich ein Comeback von Wladimir Klitschko wünscht, um diesem die Chance zu geben, den Rekord von George Foreman als ältester Schwergewichts-Champion zu brechen. Auch Klitschko scheint heiß zu sein. Da kommt doch automatisch der Gedanke eines Mega-Fights in Deutschland: Kabayel vs. Klitschko.

Über Wladimir Klitschko brauchen wir nicht reden: Das ist ein wahrer Champion, keine Skandale, nichts. Ein toller Sportsmann.

Aber mit Blick auf die finanziellen Möglichkeiten wären Sie doch nicht abgeneigt, oder?

Ich spreche für mich, nicht für Agit. Mir geht es nicht mehr ums Finanzielle. Mir geht es darum, mit Agit Weltmeister zu werden. Wenn man jetzt wie wir da oben angekommen bist, und nur noch einen Kampf davon entfernt ist, Weltmeister zu sein, dann gibt man alles. Das ist für mich viel interessanter. Geld kommt und geht, bleibt manchmal auch, beruhigt das Leben. Klitschko hat doch Geld ohne Ende und will trotzdem anscheinend immer noch dabei sein. Geld hat er nicht nötig, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber den Ruhm als Weltmeister hat er nicht mehr, das will er wieder haben. Darum geht es: Einmal Weltmeister werden mit Agit.

Fast 100 Jahre nach Max Schmeling wäre das auch eine ganz besondere Geschichte. Bis heute steht Schmeling als einziger Deutsche auf diesem Box-Olymp.

Wir reden hier über Max Schmeling - ein großer Name. Der Mann war ein Vorbild für das ganze Volk. Er hat damals Juden geholfen, das war ein großartiger Mensch. Auch Joe Louis, seinem Ex-Rivalen, hat er finanziell nach der Karriere geholfen, als der pleite war. Beide waren mal bei einem Kampf in Frankfurt, da saßen sie als Freunde zusammen am Ring - Wahnsinn. Vor Jahren hätte keiner an uns geglaubt. Agits letzte Kämpfe sprechen für sich.

Mit Sükrü Aksu sprach Martin Armbruster

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