In Cambridge haben sie ein verborgenes Merlin-Manuskript entdeckt
Mehr als 400 Jahre war das Fragment eines Manuskripts aus dem 13. Jahrhundert versteckt, in einem Einband eines Archivregisters aus dem 16. Jahrhundert. Forschende der Universität Cambridge wurden schließlich darauf aufmerksam – und erlebten eine Überraschung: Das Manuskript enthielt seltene mittelalterliche Geschichten über Merlin und König Artus. Mithilfe fortschrittlicher Technologien gelang es ihnen nun, den Inhalt zu enthüllen.
Bereits 2019 war das Manuskript in der Universitätsbibliothek Cambridge entdeckt worden, heißt es auf der Homepage der Universität . Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben es mittlerweile als Teil der »Suite Vulgate du Merlin« identifiziert, einer französischsprachigen Fortsetzung der Legende von König Artus. Die Geschichte war Teil des Lancelot-Grail-Zyklus und damit so etwas wie ein mittelalterlicher Bestseller, von dem heute nur noch wenige Exemplare existieren.
Der Universität zufolge sind weniger als 40 Manuskripte der »Suite Vulgate du Merlin« überliefert, von denen jedes einzelne einzigartig ist. »Jedes handschriftliche Exemplar eines mittelalterlichen Textes, das von einem Schreiber verfasst wurde, wird nach und nach verändert«, sagt Irène Fabry-Tehranchi, die französische Spezialistin der Universitätsbibliothek, der »New York Times« . »Mit dem Prozess des Aufschreibens erlegt ihm jeder Schreiber seinen eigenen Stil auf.«
Das Exemplar aus der Cambridger Universitätsbibliothek wurde demnach zwischen 1275 und 1315 verfasst. Es hatte die Jahrhunderte auf höchst ungewöhnliche Weise überlebt: gefaltet, zerrissen und sogar in den Einband eines Besitzverzeichnisses des Anwesens Huntingfield Manor in Suffolk eingenäht. Das machte es dem Forscherteam umso schwerer, das Buch zu öffnen, zu lesen oder seine Herkunft zu verifizieren.
Bereits in den Siebzigerjahren war das Verzeichnis nach Cambridge gelangt, rund 50 Jahre später erst erkannte ein Archivar, dass das verborgene Manuskript eine genauere Betrachtung verdiente. Dessen Bergung nahm indes weitere Jahre in Anspruch. »Wir mussten wirklich in alle Ecken und Winkel dieses Objekts vordringen«, sagt Fabry-Tehranchi.
Dabei halfen den Forschenden moderne Technologien wie die multispektrale Bildgebung, die sich auf verschiedene Wellenlängen des Lichts wie Ultraviolett und Infrarot stützt, um Details im Manuskript offenzulegen, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Mithilfe der Kollegen aus der zoologischen Abteilung kam zudem ein CT-Scanner zum Einsatz, so Fabry-Tehranchi. Normalerweise werde er für Fossilien verwendet. Stattdessen half die Technologie dabei, die Schichten des Pergaments freizulegen, ohne das Buch auseinandernehmen zu müssen.
»Es gibt noch einiges zu entdecken«
Den Prozess empfand Fabry-Tehranchi »wie das Lösen eines Puzzles«: »Hätte man dies vor 30 Jahren getan, hätte man das Fragment vielleicht zerschnitten, aufgefaltet und platt gedrückt. Aber heute gibt uns die Konservierung an Ort und Stelle einen entscheidenden Einblick in die Archivierungspraktiken des 16. Jahrhunderts und einen Zugang zur mittelalterlichen Geschichte selbst.«
Der Einsatz der modernen Magie sei nicht nur für die Entzifferung des Merlin-Manuskripts von Bedeutung. Die Forschenden sind davon überzeugt, dass das Vorgehen auch bei künftigen Manuskripten zum Einsatz kommen wird. Denn, so Fabry-Tehranchi, »es gibt noch einiges zu entdecken«.
Die Forschenden führen einen 3D-Scan durch
Foto: Błażej Mikuła / Amélie Deblauwe / Cambridge University Library