Hansi Flicks FC Barcelona verbrennt sich die Pfoten
Welch wilder Abend in Barcelona: Im Halbfinal-Hinspiel der Copa del Rey muss der FC Barcelona nach einer lange herausragenden Leistung um das Weiterkommen bangen. Denn Beginn und Ende des Spiels gehen für Hansi Flicks Team komplett schief.
Zwischen der 6. und der 84. Minute lief es nahezu perfekt für Hansi Flick und seinen FC Barcelona. Im Halbfinal-Hinspiel der Copa del Rey erzielte seine Mannschaft vier Tore, Gegner Atlético Madrid keines. Doch was vor und nach der 6. und 84. Minute passierte, ist nahezu unbegreiflich. In diesen Minuten trafen die Rojiblancos ebenfalls vier Mal. Und so stand es nach den ersten 90 Minuten im Duell der spanischen Fußballgiganten 4:4.
Was war das nur für ein Spiel! Bereits in der ersten Minute traf Julian Alvarez zur Führung. Mit der zweiten Top-Chance für die Gäste. Erst war der Argentinier per Kopf nach 20 Sekunden an Wojciech Szczęsny gescheitert, ehe er Augenblicke später völlig alleingelassen den Ball aus kurzer Distanz am langen Pfosten über die Linie drückt. Die Abwehr von Barça war völlig unsortiert. Und es ging katastrophal weiter für Flicks Team. Nach sechs stellte Atleticos Klublegende Antoine Griezmann auf 2:0, Madrid konterte die brutal hochstehende Abwehr eiskalt aus.
Hansi Flick stand der Schreck wie eingemeißelt im Gesicht. So hatte er sich das erste Spiel als 60-Jähriger nicht vorgestellt. Er zog sich die Jacke aus, das konnte hier ja noch heiter werden. Und das wurde es. Barcelona hatte eine Aufgabe vor sich, für die sich keine Mannschaft der Welt freiwillig bewerben würde. Sie musste gegen die Abwehrmonster von Diego Simeone anrennen. Die immer mit allem verteidigen, was sie haben. Mit Qualität, mit Leidenschaft und manchmal auch mit Fouls und Nicklichkeiten. Sie tun alles, um den Rhythmus zu brechen.
Pedri macht die wichtigen Dinge
"Es ist nicht einfach, die richtigen Worte zu finden. Wir sind am Ende sehr enttäuscht über das Ergebnis, aber das Spiel, das wir gemacht haben, war wirklich gut", analysierte Hansi Flick. "Ich fokussiere mich mehr darauf, um das Selbstvertrauen der Spieler aufrechtzuerhalten." Einer, der derzeit in seiner allerbesten Form ist, ist Spielmacher Pedri. Der 22-Jährige hält das Spiel von Barcelona zusammen. Er ist einer der Nachfolger der legendären Xavi und Andrés Iniesta, die die Blaugrana im ersten und zweiten Jahrzehnt dieses Jahrtausends zur besten Mannschaft der Welt gemacht haben. Davon ist die aktuelle Generation noch ein gutes Stück entfernt, aber der Weg stimmt. Dank Flick, der die Mannschaft mit seiner offensiven Idee und seiner Art komplett hinter sich gebracht hat.
Nach zwölf Minuten vergab Ferran Torres die Chance zum 1:2. Er spielte im Sturm für Robert Lewandowski. Der Pole bekam eine Startelfpause. Pedri hatte den Ball gewonnen, Raphinha hatte durchgesteckt. Flick drehte sich genervt ab. Hier schien alles gegen ihn und seine Mannschaft zu laufen, die sich immer weiter nach vorn schob. Zehn Meter vor dem Strafraum der Gäste gingen die Gastgeber gnadenlos ins Pressing. Sie gewannen einen Ball nach dem anderen. Die Verteidigungsmonster wussten kaum noch, wie ihnen geschah. Lamine Yamal schickte Jules Koundé, der passte clever zurück auf Pedri, 1:2, jetzt aber tatsächlich.
Und plötzlich war Barça nicht mehr aufzuhalten. Zwei Minuten später köpfte Abwehr-Juwel Pau Cubarsi ein. Das Olympiastadion bebte und das Lächeln kehrte zurück ins Gesicht von Flick. Er spürte, alle spürten, dass es jetzt so richtig losgeht. Ferran Torres ließ abermals eine herausragende Gelegenheit aus, er war in einen viel zu kurzen Rückpass gesprintet, hatte Torwart Juan Musso umkurvt und dann einen Schuss abgegeben, der verkümmerte (32.). So schwimmend hatte man Atlético lange nicht gesehen, so wenig hartnäckig und unaufmerksam im Duell. Wo waren sie nur, diese Zweikampfmonster als Inigo Martinez (41.) auf 3:2 stellte? Er hatte mehrere Meter Platz, um seinen Kopfball im Tor unterzubringen. Simeone kochte vor Wut.
De Jong ignoriert Raphinha
Barça hatte weiter alles im Griff. Weil jede Ballaktion von Pedri saß, wenn er sich aufdrehte, machte er das so geschickt, dass kein Gegenspieler mehr da war. Frenkie de Jong, der lange Verkaufskandidat war und plötzlich in großen Spielen wieder wichtig ist, verteilte die Bälle so klug, dass Atletico kaum Zugriff bekam. Nur Mitspieler Raphinha war offenbar sauer auf den Niederländer, der mehrfach Tiefenläufe des Brasilianers ignoriert hatte. Raphinha hob verärgert die Arme, de Jong winkte ab. Risikominimierung war offenbar das Stichwort.
Doch das Spiel von Barcelona ist ein ewiges mit dem Feuer - und dieses Mal verbrannten sie sich die Pfoten. Die gnadenlos hochstehende Viererkette ist immer anfällig für Konter, vor allem wenn das frühe Pressing ins Leere läuft und in der letzten Kette nicht jedes einzelne Teil perfekt zurückarbeitet, im Vollsprint. Griezmann nutzte so einen Moment, war frei durch, konnte den Abschluss aber bedrängt von Cubarsi nicht mit voller Kraft anbringen.
"Das schlimmste Ergebnis, wenn man 4:2 führt"
In der 68. Minute kam Robert Lewandowski für den glücklosen Torres. Atletico verzweifelte, Simeone schimpfte. Er sah Gelb (72.), dann traf Lewandowski (74.). Und zwei Minuten später fast nochmal. Nichts, aber auch gar nichts deutete mehr auf ein Comeback der Madrilenen hin. Flick lächelte. Doch dann trafen Marcos Llorente (84.) und Superjoker Alexander Sörloth (90.+3). Beim 3:4 klaffte ein gigantisches Loch in der katalanischen Abwehr, beim Ausgleich rutschte Koundé aus, der Weg war frei. "Das schlimmste Ergebnis, wenn man 4:2 führt. Das ist uns in der Liga schon passiert, jetzt wieder", klagte Pedri und ermahnte seine Kollegen zu einem schnellen Lerneffekt: "Das sind Dinge, aus denen wir lernen müssen. Wir müssen lernen, den Ball zu haben und in den letzten Minuten des Spiels die Linie nicht so hochzustellen."
Auch Flick war nach dem Abpfiff noch längst nicht fertig mit diesem wilden, emotionalen Spiel: "Wir müssen aber auch über die Gegentore reden, denn das kann nicht sein. Es war zu einfach. Es ist jetzt ein 4:4 geworden, wir fangen in vier Wochen bei 0:0 an. Alles ist möglich. Wir geben nicht auf. Wir treten an und sind fähig, da zu gewinnen." Das Rückspiel in Madrid findet am 2. April statt.