Deutschlands Box-König reißt mit Leberhaken WM-Chance an sich
Den 130-Kilo-Koloss Zhang Zhilei verputzt der deutsche Profiboxer Agit Kabayel quasi zum Frühstück. Nach dem K.-o.-Triumph darf er sich Hoffnungen auf einen WM-Kampf machen. Kabayels Manager ruft schon nach Box-König Oleksandr Usyk, sieht für seinen Mann aber ein Problem.
Wenn Sükrü Aksu etwas sagt, das mit dem Boxen zu tun hat, dann stimmt das meistens. "Agit, in drei Runden ist der Kampf zu Ende!", rief der Trainer-Fuchs seinem Schützling Agit Kabayel zu, ehe der Gong die sechste Runde im Duell mit dem Chinesen Zhang Zhilei einläutete. Aksu irrte. Der Ausscheidungskampf des Verbandes WBC im saudi-arabischen Riad war keine drei Minuten später zu Ende - und Kabayel der strahlende Sieger. Zum langersehnten Schwergewichts-Thron fehlt ihm nur noch ein Schritt.
Zhang, ein 1,98 Meter großer und 130 Kilogramm schwerer Koloss aus dem Reich der Mitte brach in Runde sechs unter einem Körperhaken-Hagel Kabayels zusammen. Der 32-jährige Deutsche (1,91 Meter/109 Kilo) vergrub seine schweren Fäuste regelrecht im Fleisch des Gegners. Eine Rechte zum Solarplexus jagte Zhang die letzten Luftreserven aus seinem massigen Körper. Als sich der japsende Koloss vor Schmerz krümmte, setzte Kabayel mit seinem Paradeschlag nach. Nach einem Leberhaken sank Zhang in sich zusammen. Knockout durch Sauerstoff-Entzug.
Kabayel hatte seinen Rivalen im Kampf um den "Interims"-WM-Titel des Verbandes WBC derart bearbeitet, dass der 41-jährige Box-Veteran aus Fernost eiligst aufgepäppelt werden musste und die Urteilsverkündung mit einer Oxygen-Maske auf dem Schemel in der Ecke erlebte. Ein Opfer des "Leberkings", wie sich der Profiboxer aus Bochum-Wattenscheid seit einiger Zeit nennt. "Ich nenne ihn den Holzfäller, er hackt Bäume", brachte Manager Spencer Brown bei DAZN im Werben um den besten Spitznamen eine Alternative ins Spiel.
Plötzlich Drama: Kabayel am Boden
Kabayels dritter Riad-Triumph in Folge war beinahe eine Kopie seiner Machtdemonstrationen gegen die hochgehandelten Arslanbek Makhmudov (Dezember 2023) und Frank Sanchez (Mai 2024). Obschon Zhang in der Eröffnungsrunde einige brutale Hämmer austeilte, rollte Kabayel unaufhörlich auf seinen physisch klar überlegenen Kontrahenten zu - ein Bochumer Bulldozer auf Mission Demontage.
Weil sich Zhangs riesiger Schädel allerdings auch bei den knackigsten Haken kaum rührte, ackerte der "Junge aus dem Pott" beständig und konsequent zwischen Leber und Rippen. "Der Körper ist größer als der Kopf, da öffnen sich die Lücken", hatte Kabayel im Vorfeld im Gespräch mit sport.de/ntv.de seinen Stil beschrieben. Zhang bot dem Revier-Fighter genug Angriffsfläche, sich auszutoben. Alles lief für Kabayel. Doch dann wurde es plötzlich dramatisch.
In Runde fünf passierte, wovor Aksu gewarnt hatte. Sein Boxer lief "in so ein Scheißding rein". Wie aus dem Nichts verpasste der für seine Maße erstaunlich schnell zuhauende Zhang dem einen Moment unachtsamen Kabayel einen Satz heiße Ohren. In der Halbdistanz schlug der Rechtsausleger mit seiner berüchtigten linken Kelle zu. Sie traf Kabayel über dem rechten Ohr. Auf einmal lag der Deutsche im Ringstaub.
"Der Schlag, den er mir verpasst hat, den hab' ich gar nicht gesehen", räumte Kabayel bei DAZN ein. "Ich bin eher von diesem Schock, weil ich den Schlag nicht gesehen habe, umgefallen." Der Güterzug aus Wattenscheid entgleiste nur kurz. Der Ringrichter hatte kaum zu zählen begonnen, da stand Kabayel schon wieder auf festen Beinen - und machte einfach weiter wie zuvor. Zum Ende des kritischen Durchgangs hackte er abermals unerbittlich auf Zhang ein. Aksu gab dem Giganten im Lichte des gnadenlosen Tempos noch drei Runden. Es wurden 2:29 Minuten.
Usyk überreicht Kabayel WBC-Gürtel
Durch seinen 26. Sieg im 26. Kampf als Preisboxer (18 Erfolge durch K.o.) hat Kabayel das letzte Treppchen auf dem Weg zum Schwergewichts-Thron erklommen. Beim World Boxing Council steht ihm nun ein Ring-Rendezvous mit Schwergewichts-König Oleksandr Usyk zu.
Der Ukrainer höchstselbst überreichte Kabayel in der Arena den Gürtel des "Interims"-Champions. Dabei handelt es sich zwar nur um ein Konstrukt der findigen Verbandsfunktionäre, um die bei dem Event in Saudi-Arabien stattliche "sanctioning fee" (eine Gebühr für Titelkämpfe) zu kassieren. Aber: Als "Zwischen-Weltmeister" ist Kabayel beim WBC als Pflichtherausforderer von WBA/WBC/WBO-Champion Usyk gesetzt.
Der zweimalige Europameister träumt davon, sich als erster Deutscher seit Max Schmeling im Jahr 1930 zum Schwergewichts-Weltmeister zu krönen. Diesem Traum ist er am Samstag ein gutes Stück nähergekommen. "Ich bin bereit für Usyk", betonte Kabayel bei DAZN: "Ich kämpfe gegen jeden. Ich hasse Trashtalk. Ich mache keine Politik. Ich will einfach nur kämpfen."
"Keiner wird etwas von ihm wissen wollen"
Ob Kabayel in naher Zukunft tatsächlich seine Chance gegen Usyk bekommt, ist gleichwohl fraglich. Der Ausnahmekönner ließ vor dem opulenten Kampfabend in Riad mit insgesamt sieben Titelkämpfen wissen, er wünsche sich IBF-Weltmeister Daniel Dubois als nächsten Gegner - das könnte für den Ukrainer finanziell lukrativer sein. Den Briten hatte Usyk 2023 zwar schon einmal besiegt. Aber: Bei der Revanche stünden die Titel aller vier großen Weltverbände auf dem Spiel.
Dubois hätte seinen Gürtel in Riad eigentlich gegen Joseph Parker aus Neuseeland verteidigen sollen. Weil sich Dubois in der letzten Woche vor dem Kampf einen Infekt einfing, fiel der Showdown flach. Parker haute stattdessen den sichtlich nicht austrainierten Last-Minute-Ersatz Martin Bakole aus dem Kongo in der zweiten Runde um. Der 33-Jährige verteidigte damit seinen - Achtung, schon wieder helle Funktionärs-Kerlchen - "Interims"-WM-Titel des Verbandes WBO. Heißt: Auch Parker hat das Recht auf einen WM-Kampf. Die Frage wäre, wer zuerst ran darf, sollte ein Duell zwischen Usyk und Dubois nicht zustande kommen.
Agit Kabayel hielt sich mit Ansagen wie gewohnt zurück, schickte im Sieges-Interview lieber Manager Brown vor. Er werde versuchen, "die größtmöglichen Kämpfe" an Land zu ziehen, versicherte der Engländer. "Nach dieser Leistung heute sehe ich nur Oleksandr Usyk. Wir werden ihn ins Visier nehmen. Wir werden nach allen schauen. Wir wollen jeden. Man hat gesehen, was Agit heute Abend getan hat."
Allerdings mache Kabayels beeindruckende Holzfäller-Einheit vom Samstag das Streben nach den "Biggest Fights" nicht einfacher. "Das Problem ist, dass keiner etwas von ihm wissen wollen wird", sagte Brown.