So kontrolliert die Bundespolizei die Ostgrenze
Kontrollverlust, Abschottung, Zurückweisungen. Über die deutschen Grenzen wird viel geredet, über die Menschen, die dort arbeiten, wenig. Wer kontrolliert da wen? Wann wird eine Einreise verweigert? Eine Streiffahrt mit der Grenzpolizei.
Der Kastenwagen mit dem Kennzeichen der Bundespolizei rappelt über eine gepflasterte Dorfstraße im Brandenburger Hinterland. Das Funkgerät knistert, eine Stimme gibt knapp durch: Die beiden Ukrainer seien an die Stadtbrücke gebracht worden und von dort nach Polen zurückgekehrt. Es ist neun Uhr. Um sechs Uhr waren die Ukrainer aufgegriffen worden, um acht sei der Fall fertig bearbeitet gewesen, sagt Tom Knie. Der junge Mann mit den rasierten Seiten, der den Wagen lenkt, erklärt: Der ukrainische Pass ermöglicht 90 Tage Aufenthalt im Schengenraum - die waren vorüber. Zurückweisungen fänden grundsätzlich an der Stadtbrücke in Frankfurt (Oder) statt, dort führen Busse oder Taxis nach Polen, es gebe dort eine Toilette, etwas zu essen.
Seit 2015 gibt es Grenzkontrollen in Bayern, seit Dezember 2023 auch an der polnischen Grenze. Über Jahrzehnte schwand die Bedeutung der Grenze in Deutschland, seit zehn Jahren ist die Idee wieder quicklebendig: Bei der Bundestagswahl im Februar war erstmals eine Generation wahlberechtigt, die in ihrem ganzen Leben keine harten Grenzkontrollen in Deutschland erlebt hat. Und für die es gleichzeitig normal ist, dass eine Partei im Bundestag sitzt, die Deutschland mit Zäunen sichern will, aus deren Reihen heraus wiederholt der Schusswaffengebrauch an der Grenze gefordert worden ist. Nun wollen Union und SPD Zurückweisungen Asylsuchender umsetzen.
Das sei ein Nachteil an seinem Job, sagt Tom Knie: Er habe was mit Politik zu tun. Als Grenzpolizist stehe man "immer im Spannungsfeld". Knie lässt den Kastenwagen langsam über einen Autobahnparkplatz rollen. In der verschließbaren Mittelkonsole des Kastenwagens liegt eine Maschinenpistole. Knie sagt, er fühle sich sicherer mit ihr. Vor seiner Beifahrerin steht eine Dose Energydrink auf dem Armaturenbrett. Die Bundespolizei in Frankfurt (Oder) arbeitet im Schichtdienst, Sophia Nagler bevorzugt die späten Dienste. Auf ihrem Handy überprüft sie das Kennzeichen eines grauen Hyundais, dem die Plakette fehlt. Alles gut, er ist nicht zur Fahndung ausgeschrieben. Wieder auf die Autobahn.
"Dann sind die stiften gegangen, über den Zaun"
Der Nebel steht an diesem Dienstagmorgen links und rechts der Straße wie eine Wand. Beim Streife fahren sei das hinderlich, sagt Sophia Nagler. Kurze Zeit später steigen die Polizisten am Ufer der Oder aus. Der Grenzfluss ist hier teilweise keine hundert Meter breit, dennoch ist die polnische Seite kaum zu erkennen; knorrige Bäume, Schilf, in der Luft ein Greifvogel. Vor Nagler quert eine Eisenbahnbrücke die Oder. Immer wieder kommen darüber Menschen zu Fuß nach Deutschland. Von Frühjahr bis Herbst mindestens zwei, dreimal im Monat, schätzen die Beamten.
Die Oder liegt ruhig da. "Erinnerst du dich noch an die drei Nasen letztes Jahr?", fragt Nagler ihren Kollegen. Sie waren zufällig im Bereich der Eisenbahnbrücke unterwegs, als ein Funkspruch kam: Eine Kamera hatte Bewegungen im Gleis erkannt. Sie stießen auf drei Menschen. "Wir haben die angesprochen und dann sind die stiften gegangen, über den Zaun", erzählt Nagler. Weitere Einsatzkräfte wurden gerufen, ein Helikopter mit Wärmebildkameras. Eine Stunde habe man intensiv gesucht, aber die Gesuchten waren im Dickicht verschwunden. "Man muss auch immer schauen, wo endet der sinnvolle Einsatz von Ressourcen", sagt Nagler. Eine Streife blieb zurück, in den Morgenstunden seien die Männer dann aufgetaucht. Denen war wahrscheinlich einfach kalt im Wald, mutmaßt Nagler. Die meisten Menschen wüssten, dass sie in deutschem Polizeigewahrsam sicher wären, erst mal ein Dach über dem Kopf hätten, ein warmes Bett, etwas zu essen. Die Männer, wohl Afghanen, wurden an die Ausländerbehörde überstellt.
Knie weist darauf hin, dass im Dienst die Neutralitätspflicht gelte: Er führe den Willen des Bürgers aus. "Wenn das Grenzkontrollen im Schengenraum sind, dann ist es so", sagt er. Seit zwei Jahren ist es so. Knie und Nagler sind erst seit Kurzem bei der Grenzpolizei, Knie ist 27 Jahre alt, Nagler 30. Ihre Kollegen aber können sich gut erinnern, wie das war, als Ende 2023 an der deutsch-polnischen Grenze plötzlich wieder Beamte standen und mit roten Kellen winkten: Wenige Tage vor Wiedereinführung der Grenzkontrollen habe man "gehört", dass da womöglich einiges auf die Dienststelle Frankfurt (Oder) zukommen könnte.
Autos mit getönten Scheiben werden oft kontrolliert
Der Kastenwagen mit Knie und Nagler biegt aus der Karl-Marx-Straße auf die Bundesstraße 5 ein, vorbei an McDonald's und der Spielothek California. Auf Słubice zu, den polnischen Zwilling der von Frankfurt (Oder). Die beiden Grenzstädte verbindet ein zehn Meter breiter Streifen, die Stadtbrücke. Als es hier plötzlich wieder einen Grenzposten gab, war das erst nur ein Polizeiauto.
Dann kamen Container, ein kleines Zelt, eine geteerte Fläche, Stromanschlüsse, ein größeres Zelt. Die "vorübergehenden Grenzkontrollen" haben sich mehr und mehr verstetigt. Die Arbeit der Beamten selbst hat sich kaum verändert, sie ist nur stärker untergliedert. Eine klassische Grenzstreife im Hinterland führt eine Fahrzeugkontrolle vom ersten bis zum letzten Schritt aus: Ausschau halten, Auto oder Lkw gegebenenfalls aus dem Verkehr ziehen, Papiere prüfen und gegebenenfalls weitere Schritte einleiten. An der Stadtbrücke aber herrscht Arbeitsteilung.
Zwei Beamte stehen mit Blick auf die Grenzbrücke und winken Fahrzeuge aus dem einspurigen Verkehr. Weitere Zweier-Teams überprüfen sie. Heute sind das unter anderem Knie und Nagler: Pässe, Aufenthaltstitel, Fahrzeugschein, Ladefläche oder Kofferraum. Besonders häufig kontrollieren sie Autos mit einer Zulassung aus Nicht-EU-Staaten. Die Ukraine, Belarus, Serbien. "Muss natürlich nichts heißen, aber einen deutlicheren Hinweis kann es ja nicht geben", meint Knie. Fahrzeuge mit getönten Scheiben stehen hoch im Kurs, außerdem polnische Kleinbusse und Kastenwägen. "Da will man schon schauen, wer sitzt da drin?"
"Ich bin das Erste, was die Menschen von Deutschland sehen"
Der Grenzbeamte tritt an einen kugeligen Kleinwagen mit polnischem Kennzeichen heran. Ein junger Mann mit Wuschelhaaren reicht vier Pässe heraus. Er kichert ein wenig, "jede Woche", sagt er auf Englisch, wirkt fast belustigt ob der Kontrolle. Tag für Tag pendeln 14.000 Menschen aus Polen nach Deutschland. Die meisten kommen über Frankfurt (Oder). Viele Menschen sind genervt von den Kontrollen, besonders morgens und abends staut sich der Verkehr.
Knie fragt, wohin die Männer wollen. "Fürstenwalde, Ladenbau", sagt der Fahrer. Knie ist ausgenommen höflich im Umgang mit den Menschen, die er kontrolliert, er klingt wie ein Flugzeugbegleiter. Den polnischen Handwerkern wünscht er eine gute Reise, "Fahren Sie vorsichtig", sagt er. Knie sieht sich als Aushängeschild Deutschlands, er sei das Erste, was die Menschen sähen, die hier einreisten, erklärt er.
Knie und Nagler sind die einzigen beiden von rund 300 Beamten in der Dienststelle Frankfurt (Oder), die sich freiwillig für Pressetermine melden. Bei ihren Kollegen ist der Ton manchmal rauer: Als etwa ein älterer Mann am Steuer eines Kleinbusses mit lettischem Kennzeichen nach Aufforderung nicht sofort den Motor abstellt.
Eine "Bearbeitungsstraße" für Grenzfälle
Es kann bitterkalt werden an der polnischen Grenze. Dann trägt Knie Thermo-Leggings, darüber eine Jogginghose und die normale Diensthose; an den Füßen zwei Paar Socken und Einlagen. Nagler klebt sich zusätzlich Fußwärmer in die Schuhe.
Die Grenzpolizei sitzt oft auch am Schreibtisch. Im Stadtteil Markendorf steht eine alte Industriehalle. Dort befindet sich die "Bearbeitungsstraße" der Bundespolizeidienststelle. Bearbeitet werden hier "Sachverhalte", also im Grenzgebiet aufgegriffene Menschen - ob in Reisebussen, Privatautos, zu Fuß oder im Zug - deren Einreisedokumente nicht gültig, nicht vollständig oder nicht vorhanden waren.
Die Bearbeitungsstraße sei eine Art Großraumbüro, erklärt Knie. Zwei Bildschirme, eine Tastatur: "Und dann klimpert man da so vor sich hin." Bis zu 80 Personen können gleichzeitig überprüft werden. Im Eingangsbereich nimmt die Bundespolizei zunächst die Dokumente in Augenschein. Fehlen Papiere oder gibt es Zweifel an deren Echtheit, nehmen sie Fingerabdrücke. Jeder Ankömmling erhält ein Bändchen mit einer Buchstabenkombination zur Identifikation. Anschließend werden die persönlichen Gegenstände durchsucht, verzeichnet und verwahrt. Danach werden die Menschen befragt, oft muss dafür eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher gerufen werden. Woher kommt die Person? Wie war der Reiseweg? Gab es Helfer oder gar Schleuser? Was ist der Grund der Einreise?
"Das ist kein schöner Moment"
Je mehr Dokumente, Gepäck und Diskussionen es gebe, desto mehr Arbeit mache ein Fall, sagt Nagler: 10 Euro, 20 Rubel, 5 Dollar, alles müsse erfasst werden. "Die Ukrainer heute Morgen - das ist mittlerweile ein Standard-Sachverhalt, das geht schneller." Die Aufgegriffenen werden an die Grenze zurückgefahren, an die Ausländerbehörde beziehungsweise ans Jugendamt übergeben oder dürfen legal einreisen. Meistens verkünde eine Übersetzerin oder ein Übersetzer den Ausgang des Verfahrens. "Das ist kein schöner Moment", sagt Knie. Manch einer sehe da sein Leben an sich vorbeiziehen.
Bald könnte es noch mehr solcher unschönen Momente geben. Falls das Innenministerium die Bundespolizei anweisen sollte, Asylsuchende an der Grenze zurückzuweisen. Schon Ende Januar war es fast so weit: Die Unionsfraktion hatte sich im Bundestag unter anderem von den Stimmen der AfD unterstützen lassen, scheiterte mit ihrem "Zustrombegrenzungsgesetz" aber knapp. Die AfD gelobte wenige Wochen später in einer Sendung nach der Wahl, die Union "jagen" zu wollen - vor allem beim Thema Migration.
"Kampfansage an Schutzsuchende"
Die zukünftigen Koalitionspartner von Union und SPD haben nun in ersten Gesprächen vereinbart, dass Asylsuchende in Zukunft keinen Pflichtanwalt mehr gestellt bekommen, dass nicht mehr das zuständige Amt alle relevanten Informationen beschaffen muss, sondern die betroffene Person. Außerdem sollen Asylsuchende zurückgewiesen werden können - in Abstimmung mit den Nachbarländern.
Die Landesflüchtlingsräte, die Geflüchteten-Organisationen sowie deren Unterstützerinnen und Unterstützer vertreten, sehen in den Vereinbarungen von SPD und Union einen Erfolg der AfD. Deren Sondierungspapier sei eine "Totalabsage an die menschenrechtlichen Prinzipien der Europäischen Union", eine "Kampfansage an Schutzsuchende" und die, die sie unterstützten, schreiben sie.
Für die Bundespolizei würde das höhere Papierberge bedeuten, mehr Arbeit. Asylsuchende wären nicht mehr an die Ausländerbehörde zu übergeben, die Beamten wären für all diese Menschen, all diese "Sachverhalte" weiter zuständig. Bis zum Ende. Bis an die Grenze. Der Weg dorthin ist mit Unterlagen gepflastert. In vielen Köpfen mag die Wortfolge "Zurückweisung an der Grenze" das Bild einer schnellen und unkomplizierten Handlung hervorrufen, ein Ping-Pong-Schlag, Zack und vergessen. Tom Knie und Sophia Nagler wissen, dass es anders ist.