Apokalypse Grau

Die Kommissare tollen über das Schlachtfeld, das Getöse des Kriegsgeräts macht ihnen offenbar gute Laune. Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind auf einer Militärbasis gelandet, auf der gerade ein Nato-Übungsmanöver stattfindet. Über 6000 Soldaten nehmen teil. Die transatlantische Allianz, die durch den wiedergewählten Donald Trump in Gefahr geraten ist, steht in diesem (vor einem Jahr gedrehten) »Tatort« noch wie eine Eins.

Über das Gelände rasen Panzer, am Himmel knattern Hubschrauber. Hier zeigt sich das Militärbündnis kriegstüchtig, wie sich das der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius wünscht. Leitmayr schaut gen Himmel und raunt in Anspielung auf das berühmte bellizistische Zitat  aus »Apocalypse Now«: »Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen!«

Dieser »Tatort« mit den grau gewordenen Ermittlerbuben aus Bayern verhandelt die Inszenierungstechniken des Krieges, so wie das Francis Ford Coppola in seinem Vietnamepos tat – wenn auch etwas weniger monumental. Apokalypse Grau mit Batic und Leitmayr.

Peppige Referenzen an das Kino und die Popkultur gibt es reichlich. Neben Coppola wird auch Hitchcock zitiert. Es erklingen Songs von Status Quo, Neil Young und Townes Van Zandt. Doch irgendwann geht es auch um die realen Schrecken des Krieges und die Notwendigkeit der Verteidigungsfähigkeit, und da verwandelt sich der sarkastische Spaß dann über Strecken in eine staatspolitische Talkshow.

Krieg in Kleinstadtkulisse

Bei einem Nato-Manöver auf einer US-Militärbasis ist es zu einem Doppelmord gekommen, ein Mann und eine Frau starben durch Messerstiche. Eines der Opfer war ein sogenannter COB, ein »Civilian on the Battlefield«. Sechs Wochen lang leben Zivilisten als Komparsen in einer wackeligen Kleinstadtattrappe zusammen, die unter simulierten Beschuss gesetzt wird. Auf diese Weise können die Nato-Soldaten ihre Kriegsspiele unter möglichst realistischen Bedingungen absolvieren.

In das drollige Simulationsszenario (Buch: Dagmar Gabler, Regie: Lancelot von Naso) mischen sich aber bald auch ernste Töne. Leitmayr kurvt mit einer US-Militärpolizistin (Yodit Tarikwa) über das weiträumige Gelände und gerät mit ihr in eine Auseinandersetzung über die ethischen Aspekte der transatlantischen Verteidigungspolitik, die hier noch so intakt ist, dass sie eben auch noch robuste Diskussionen unter Freunden verträgt.

Der Kollege Batic ermittelt in der Tarnung eines COB unter den zivilen Komparsen und freundet sich mit einer bosnischstämmigen Frau (Dorka Gryllus) an, die schon etliche Nato-Manöver hinter sich hat.

Srebrenica ist nah

Eine angespielte Coverversion von Van Zandts Depressions-Evergreen »Waitin’ Around to Die«  mit weiblichem Gesang hat schon früh suggeriert, dass der anfangs so salopp erzählte Krimi-im-Krieg-Krimi eine düstere Wendung nehmen könnte. Später erfährt der kroatischstämmige Batic, dass seine Manövergefährtin immer wieder an den Kriegsspielen teilnimmt, um eigene Traumata aus dem Jugoslawien-Krieg der Neunzigerjahre zu verarbeiten. Sie selbst überlebte als junge Frau das Massaker von Srebrenica, bei dem serbische Militärs und Paramilitärs 8000 Bosniaken getötet haben. Den Einsatz auf dem Battleground nutzt sie nach eigenen Aussagen als eine Art Konfrontationstherapie.

Die Dialoge sind zum Teil steifes Soldatentheater, der Simulations-Plot wackelt zuweilen wie die Kulissen auf dem Schlachtfeld. Aber wie sich in dem Handlungsstrang um die Bosnierin der echte Krieg auf paradoxe Weise in den inszenierten Krieg schiebt, das ist stark erzählt. In einem stillen Moment sagt die Völkermordüberlebende zu Batic: »Die Manöver schützen mich davor, mich umzubringen.«

Bewertung: 7 von 10 Punkten

»Tatort: Charlie«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

Szene aus dem Militär-»Tatort«: Krieg in Kleinstadtkulisse

Foto: Oliver Oppitz / Lucky Bird Pictures / BR

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