Im Mittelalter haben Mönche Bücher in Robbenfell eingebunden, aber woher hatten sie das?
Dass Bücher aus dem Mittelalter bis heute überdauern, ist ein seltenes Phänomen. Zu beobachten ist es unter anderem in den Bibliotheken der Zisterzienserklöster in Nordfrankreich. Dort lagern zahlreiche handschriftliche Manuskripte aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Mönche hüllten die Bücher im Mittelalter in Tierhäute. Und bis heute rätseln Wissenschaftler, welche Tiere dafür herhalten mussten. Nun zeigt eine Studie: Es handelt sich nicht um Häute von Hirschen oder Wildschweinen, sondern um das Fell von Robben.
»Die weitverbreitete Verwendung von Robbenfellen in Zisterzienserbibliotheken wie Clairvaux und seinen Tochterabteien im zwölften und dreizehnten Jahrhundert deutet auf umfassendere Handelsnetze hin, die zum Beispiel Walrosselfenbein aus dem hohen Norden nach Kontinentaleuropa brachten«, schreiben die Forscherinnen und Forscher um Élodie Lévêque von der Universität Panthéon-Sorbonne in Paris in ihrer Studie .
Unter dem Mikroskop hatte sich demnach gezeigt, dass die erste Umschlagsschicht aus Schafsfell besteht. Der äußere Umschlag stammte aber nicht wie vermutet von Schafen, Hirschen oder Wildschweinen. Mithilfe spezieller Messinstrumente untersuchte das Forscherteam Fellproben. Dabei stellte sich heraus, dass mehrere Buchumschläge aus Robbenfell gefertigt sind. In einem Fall ließ sich der Studie zufolge sogar die Art sicher identifizieren: eine Bartrobbe.
Dabei gab es damals an der französischen Küste gar keine Robben. Die Tiere sind mit Seehunden verwandt, die heute um Skandinavien, Schottland, Grönland und Island leben. »Dieser geografische Rückschluss unterstützt die Vorstellung von einem robusten mittelalterlichen Handelsnetz, das weit über die lokale Beschaffung hinausging und die Zisterzienser mit breiteren Wirtschaftskreisläufen verband«, schlussfolgern die Forscherinnen und Forscher.
Mönche wählten Fell wohl wegen der Farbe
Nach ihrer Entdeckung in den Zisterzienserklöstern in Nordfrankreich besuchten die Wissenschaftler auch Zisterzienserbibliotheken in Belgien und England. Insgesamt fanden sie dort 43 Manuskripte mit einem Einband aus Robbenfell. Daraus schließen die Forscher, dass diese Haut oft für Einbände kostbarer Bücher verwendet wurde.
Das lag womöglich auch an der Farbe: Ursprünglich waren die Einbände wie das Robbenfell offenbar weiß oder grau. »Die Zisterzienser sind für ihre Vorliebe für weiße Kleidung und Gegenstände bekannt, und es ist daher wahrscheinlich, dass für die Einbände die Felle gewählt wurden, weil sie hellgrau oder weiß sind«, heißt es in der Studie.
Das Team um Forscherin Élodie Lévêque geht davon aus, dass die Handelsrouten sich bis in den nordwestlichen Atlantik, wahrscheinlich sogar bis Grönland, erstreckten. Die Nordmänner hätten die Robben selbst erlegt oder gekauft und anschließend gehandelt. Womöglich wussten die Mönche in Frankreich später gar nicht, von welchem Tier die von ihnen erworbenen Felle stammen.
Lesen Sie hier, wie weitverzweigt die Handelsrouten der Wikinger waren.
Bucheinband aus Clairvaux
Foto: Médiathèque du Grand Troyes / Royal Society