Wie Hansi Flick zum Supertrainer wurde

Als die DFB-Elf erst bei der WM in Katar krachend scheitert und danach nicht mehr auf die Beine kommt, gibt kaum jemand noch etwas auf Trainer Hansi Flick. Der zieht sich zurück, taucht auf einmal in Barcelona wieder auf und schenkt dem Superklub neue Hoffnung. Wie funktioniert das?

Da saß er nun im Gewölbe eines einem Beduinenzelt nachempfundenen Stadions in einer Wüste am Ende der Welt. Der als zukünftiger Weltmeistertrainer verpflichtete ehemalige Weltmeister-Co-Trainer Hansi Flick, der mit dem FC Bayern in kürzester Zeit alles gewonnen hatte, was zu gewinnen war, hatte mit dem DFB einen Absturz historischer Dimension hingelegt.

Angetreten, um den deutschen Fußball nach dem Abgang von Joachim Löw zurück in die Weltspitze zu führen, kollabierten diese Hoffnungen in nur drei Spielen. Die Winter-WM im Wüstenstaat Katar war nach Spielen gegen Japan, Spanien und Costa Rica vorbei. Hansi Flick blieb. Er sagte, er habe sich kaum etwas vorzuwerfen. Alles irgendwie unglücklich gelaufen. Dazu der Boykott in Deutschland. Die fehlende Unterstützung. Nachvollziehbare Erklärungen für den luftleeren Raum. Doch den gab es nicht. Die Luft brannte. Katar war das Symbol für alles, was am Fußball zu verachten ist. Dabei wollte Flick doch nur Fußball spielen.

Das politisch so aufgeladene Turnier war für den deutschen Fußball ein absolutes Desaster und niemand wollte dafür Verantwortung tragen. Sportlich war es halt auch nicht gut genug. Das stoische Beharren auf den hoch stehenden Außenverteidiger, die ungeklärte Chef-Situation im Mittelfeld. Es war nicht gut genug.

Fatale Motivationsversuche vor Japan-Spiel

Wenig später, noch während die WM lief, ging der langjährige DFB-Manager Oliver Bierhoff. Einige Monate später nach einer weiteren Niederlage gegen Japan, diesmal in Wolfsburg und nicht in Doha, war das Projekt Fußball-Nationalmannschaft für Flick noch weit vor der Heim-EM wieder gelaufen. Endgültig zum Verhängnis geworden, waren dem damaligen Bundestrainer kurz zuvor veröffentlichte Filmdokumente über das Scheitern bei der WM in Katar. "Das überlebt der nicht", raunten die Journalisten, die das Material vorab sichteten und so war es dann auch. Denn, was erst die Journalisten und dann die breite Öffentlichkeit sah, war verheerend.

Neben dem Absturz einer wohl auch von der Weltpolitik und Deutschlands Beitrag zermürbten Mannschaft dokumentierte die Serie "All or Nothing" die Versuche von Flick, sein Team vor dem dann verlorenen WM-Auftaktspiel gegen Japan mit einem Video über den Flug der Graugänse zu motivieren. Es ging kolossal schief. Die Gänse hingen Flick nach. Seine Karriere schien vorbei.

Auch, wenn es beim Rekordmeister FC Bayern im vergangenen Jahr wohl Interesse an einer Rückkehr gab. Es kam nicht dazu. Die Bayern holten Vincent Kompany und Hansi Flick, der am heutigen Montag 60 Jahre alt wird, ging vollkommen überraschend zum FC Barcelona. Die Katalanen waren mal wieder auf der Suche nach einem neuen Coach. Die Sache mit Vereinslegende Xavi Hernandez war irgendwie in die Hose gegangen.

"Dass Laporta auf einen deutschen Trainer setzt, hat alle überrascht"

Jetzt, im Sommer 2024, kam der Weltmeister-Co-Trainer Flick und damit der, der Barcelona auf dem Weg zum Titel in der Champions League beim Pandemieturnier in Lissabon eine historische 8:2-Abreibung verpasst hatte. Es war die Rache der Bayern für den Lionel-Messi-Sololauf gegen Jérôme Boateng. Der Verteidiger war am 6. Mai 2015 vom argentinischen Fußballgott bei Bayerns Pleite im Königsklassen-Halbfinale mit feinster Technik mehrfach in den Boden gerammt worden. Es war Messis Revanche für das verlorene WM-Finale 2014. Das 2:8 läutete für Barcelona nun das Ende der Messi-Ära ein. Ein Jahr nach der Pleite von Lissabon war der Argentinier bei PSG, weil Barça nicht mehr funktionierte.

"Dass Präsident Joan Laporta auf einen deutschen Trainer setzt, hat anfangs alle überrascht", sagt Juan Irigoyen im Gespräch mit ntv.de. Er berichtet für "El País" über den FC Barcelona. "Gerade aufgrund des Abschneidens der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2022. Doch bei Barça waren sie nach dem ersten Gespräch zwischen Flick und Sportdirektor Deco alle überzeugt, dass sie endlich einen Trainer gefunden. Die Zeit hat gezeigt, dass sie Recht hatten."

Sie lagen sogar so richtig, dass die "Sport" Flick nun mit einer Titelseite zum Geburtstag gratuliert. Sie beglückwünscht Hansi dazu, "dass er ein erstaunliches Alter erreicht hat, aber vor allem, dazu dem Barcelonismus Hoffnung zurückgegeben zu haben". Eine Schlagzeile, die noch im Sommer 2024 als undenkbar gelten musste. Die mutige Entscheidung der Katalanen hatte damals für reichlich Verwunderung gesorgt, auch in Deutschland. Die Sache mit den Gänsen war ja nicht vergessen. Sie war immer noch da. Sie war passiert.

Die Sache mit den Gänsen

Es mutet daher kurios an, wenn der Blick auf Flicks Heimat wandert. Denn Kraft fand Flick in diesen Monaten ausgerechnet in seiner Heimatgemeinde Bammental - und auch da spielen Gänse eine große Rolle. Eine so große Rolle, dass das Rathaus der Gemeinde seit einiger Zeit die Gans auf den Briefkopf gehoben hat. In Bammental gibt es zwar seltener den Flug der Graugänse zu beobachten, aber immer wieder den watschelnden Gang der Hausgänse. Sie können nicht fliegen. Die Hausgänse hat es schon vor Jahrhunderten in die kleine Gemeinde an der Elsenz gezogen. Manchmal stehen sie auf der Straße. Dann müssen die Autofahrer warten. Sie sind Teil des Orts.

"Wo Wasser ist, sind auch Gänse zu Hause", sagt Bürgermeister Holger Karl im Gespräch mit ntv.de. Bammental ist eine beschauliche Gemeinde. Der größte Zwist ist der zwischen den fremden Nilgänsen und den heimischen Hausgänsen. "Die Nilgänse", sagt Bürgermeister Karl, "sind viel aufdringlicher. Die haben wir hier nicht so gerne. Sie sind sehr laut. Sie breiten sich dort aus, wo das Wasser ist." Aber dort, wo die Hausgänse sind, da fühlen sich die Nilgänse nicht wohl. Die Hausgänse sind, wenn man es so will, die Brandmauer gegen die invasive Spezies der Nilgänse. Abseits dieser tierischen Probleme steht die Welt hier jedoch im besten Sinne still und die Sache mit den Tieren ist auch nicht so schlimm. "Man lernt, mit den Gänsen zu leben", sagt Karl, der seit 2010 seiner Gemeinde vorsteht.

Flick schöpft in Bammental Kraft. Wenn es der fordernde Alltag eines Supertrainers erlaubt, kehrt er zurück in seine Heimat. Hier ist Flick seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft Ehrenbürger, hier hatte er ein Sportgeschäft und hier hat er sich "ein Denkmal gebaut, nicht aufgrund seiner sportlichen Erfolge, sondern einfach als Mensch". Das sagt Corinna Kruse von der Internetseite Bammental.news. Kruse hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit ihrem Mikroblog auf die guten Nachrichten zu schauen.

Kruse sagt: "Wenn man nur tief genug schaut, lässt sich auch in einer schlechten Nachricht etwas Gutes finden." In diesem Idyll südlich von Heidelberg, am nördlichen Rand der rollenden Hügel des Kraichgaus, lebt der Mensch Flick. "Er kann hier unbehelligt durch den Ort laufen. Hier kennt ihn jeder", sagt Bürgermeister Karl: "Hansi Flick ist seinem Ort sehr zugetan. Hier hatte er seine Anfänge als Trainer." Das war vor Jahren bei Victoria Bammental, die momentan in der Verbandsliga ums Überleben kämpfen. Mit nur sieben Punkten aus 16 Spielen ist das rettende Ufer weit entfernt.

Der deutsche Coach ist ein Verführer

Es könnte kaum unterschiedlichere Orte geben. Auf der einen Seite die Ortschaft Bammental mit der gemächlichen Elsenz und den 6600 Einwohnern und auf der anderen Seite die pulsierende Metropole Barcelona mit einem der größten Klubs der Welt. Einem, der darüber hinaus gehörig in Schieflage geraten ist. Der immer noch mit dem Selbstverständnis einer Fußball-Großmacht operiert, doch besonders in Europa seit längerer Zeit kaum noch eine Rolle spielt, wenn es in die heiße Phase der Saison geht. Als Flick sich dort im Sommer vorstellte, hob er die Gemeinsamkeiten hervor: die Anfangsbuchstaben BA. Einige lachten, andere wunderten sich. Bürgermeister Karl sagt: "Der Ort gewinnt deutlich an Bekanntheit." In Barcelona ist Flick nun etwas gelungen, was vor ihm zuletzt dem großen Udo Lattek gelungen ist. Er hat eine Stadt für sich eingenommen.

"Er hat eine sehr direkte, sehr schnörkellose Vorstellung vom Fußball. Damit hat er alle verführt: Spieler, Funktionäre, Medien", sagt "El País"-Reporter Irigoyen. Es sind Sätze, von denen nach der DFB-Katastrophe niemand mehr dachte, sie je noch einmal über Flick zu hören. Flick habe fast jeden Spieler besser gemacht: Jules Koundé, Pedri und vor allein Dingen Raphina, Pau Cubarsi, Lamine Yamal und Inigo Martinez. Ja, sogar Frenkie de Jong sei wieder da. "Es gibt offenkundig eine Beziehung zwischen Flicks Handeln und den Resultaten", sagt Irigoyen. Das gab es in Barcelona offenkundig schon länger nicht mehr. Dabei agiert der Verfüher der Katalanen keinesweges als Revolutionär. Er macht es mit den Methoden der Bodenständigkeit. "Er wirft die Regeln des Fußballs nicht um. Er arbeitet. Und das funktioniert."

Flick lässt Chaos abprallen

Und wie das inmitten des ganzen Chaos in Barcelona funktioniert. Es ist immerhin der Klub, dem es nur im Januar mit Taschenspielertricks gelungen war, den Abgang des erst im Sommer 2024 für viel Geld von RB Leipzig verpflichteten spanischen Europameisters Dani Olmo zu verhindern. Inmitten der Unruhe soll der deutsche Trainer mit der simplen Methode der Menschlichkeit dafür gesorgt haben, die Missstimmungen im Lager des Offensivspielers auf Sparflammen zu halten. Wenn der 60-Jährige sich nicht gerade damit rumschlägt, arbeitet er am Fußball der Katalanen.

Flicks hohe Verteidigung, die Überfälle tief in der gegnerischen Hälfte, die Tore. Es funktioniert wieder. Nach einer kleineren Krise kurz vor dem Spiel in der Champions League bei Borussia Dortmund läuft es nahezu perfekt. Seit 13 Pflichtspielen ist Barça nun ungeschlagen, in der Liga wurden die letzten fünf Spiele gewonnen und die Tabellenführung von Real Madrid zurückerobert. In der Königsklasse reifen erst Träume von einem ersten Titel seit dem 3:1 gegen Juventus im Finale im Berliner Olympiastadion im Jahr 2015. Damals stand die Vereinslegende Luis Enrique an der Seitenlinie. Bei seinem Rückzug im Sommer 2017 hatte er neun Titel in drei Jahren abgeräumt.

Der mittlerweile 54-Jährige trainiert dieser Tage Paris Saint-Germain und könnte auf dem Weg zum Titel einer der ganz großen Widersacher von Flick werden. Die Franzosen zeigen sich momentan in bestechender Form. Sie stehen auf der anderen, der schwereren Seite des Turnierbaums, müssen sich im Achtelfinale gegen Liverpool behaupten.

Jetzt erstmal Atletico im Pokal

Das alles aber ist noch Zukunftsmusik für den, der selten zufrieden ist. Für den, dessen Gesicht meist nicht verrät, was überhaupt passiert. Nach dem 2:0 bei UD Las Palmas an diesem Wochenende haderte Flick mit seinen Spielern. Was er da gesehen habe, sei einfach nicht genug. "Es geht um die Positionierung, das Passspiel, all diese Dinge. Das war nicht das, was wir können. Wir müssen uns noch sehr verbessern", sagte er. "In der ersten Halbzeit haben mir von meinen Spielern fünf bis zehn Prozent gefehlt, vielleicht sogar mehr", sagte der Barça-Trainer. Er fühle sich "müde nach diesem Spiel".

Eigentlich also Zeit für einen Trip nach Bammental. Doch der dichte Spielplan eines europäischen Supertrainers lässt das nicht zu. Am Dienstag schon geht es wieder um alles. Atlético Madrid wartet im Pokal. Gegen die kassierte Barça im Dezember die letzte Niederlage. Das soll nicht noch einmal passieren, denn den Pokal würden sie in Barcelona auch gerne mitnehmen. Hansi Flick ist mal wieder komplett im Rausch. Und das, das zeigt ein Blick auf seine Zeit bei Bayern, kann er spektakulär gut ausnutzen. Die schlimme Nacht im Beduinenzelt ist längst vergessen.

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