Vokabeln lernen in den Flitterwochen

Wenn er mit drei anderen Fahrern in der Pressekonferenz sitzt, gehen mindestens zwei Drittel aller Fragen an ihn, den siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton. In den USA ziert er das Cover des ehrwürdigen »Time«-Magazins.  Ferrari-Präsident John Elkann, normalerweise selbst bei den Rennen der Formel 1 nicht allzu oft anzutreffen, kam extra zu den Testfahrten nach Bahrain.

Hamilton stieg dort drei Tage lang in den Ferrari, zum ersten Mal seit einer ersten Ausfahrt auf der eigenen Teststrecke der Scuderia in Fiorano. Der charismatische Brite zusammen mit dem traditionsreichsten Team der Formel 1, von Mythen umgeben  – das ist die neue Traumpaarung der Formel 1. Die, auf die vor dem Saisonauftakt alle schauen. Von der sich die Formel 1 einen weiteren Push in der globalen Wahrnehmung erhofft.

Der Druck ist groß, Experten und Öffentlichkeit fragen sich: Können Ferrari und Hamilton die Erwartungen erfüllen? Wird Hamilton mit Ferrari zum achten Mal Weltmeister?

Im Moment, vor dem Saisonauftakt in Australien Mitte März, sind alle glücklich. Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur selbst benutzt das Wort »Flitterwochen«, um die erste gemeinsame Zeit zu beschreiben. Hamilton, inzwischen 40 Jahre alt, in den letzten wenig erfolgreichen Jahren bei Mercedes öfter eher genervt und lustlos auftretend, ist wie ausgewechselt. Der Brite wirkt stark motiviert, begeistert von der neuen Umgebung.

»Die Leute bei Ferrari kennenzulernen, ihre Freude, ihren Stolz, für dieses Team zu arbeiten, den Einsatz zu erleben, mit dem alle an ihre Aufgaben herangehen, das ist noch einmal etwas ganz anderes, als den Mythos nur von außen zu sehen«, sagte Hamilton in Bahrain und freute sich über die vielen Dinge, die er jetzt im Herbst seiner Karriere noch einmal neu lernen muss – oder kann.

Nicht nur Italienisch, womit er schnell begonnen hat, sich bei PR-Auftritten und auch intern immer wieder in der neuen Sprache versucht. Auch sonst gibt es neue Vokabeln zu pauken. Selbst in den auf Englisch ablaufenden technischen Briefings habe er festgestellt, dass Ferrari für gewisse Teile, etwa zum Beispiel Aufhängungskomponenten, andere Begriffe verwende, als er dies zwölf Jahre lang bei Mercedes gewohnt war. »Ich habe das jetzt alles in meinem Computer, damit ich es mir besser aneignen kann«, sagte Hamilton.

Auch an das neue Lenkrad, das nach Vasseur »so komplex wie ein Atomkraftwerk« sei, müsse er sich gewöhnen. »Es ist anders, als nur beim gleichen Team in ein neues Auto für die neue Saison zu steigen«, sagte Hamilton. »Die Unterschiede sind größer, die Fahrbarkeit des Motors zum Beispiel ist anders, das Ansprechverhalten. Oder die Bremsbalance, die sich anders anfühlt. Ich bin noch dabei, zu lernen, wie dieses Auto gefahren werden will«, ergänzte er.

McLaren vorn, dahinter balgen sich Ferrari, Red Bull und Mercedes

Da sei noch viel Luft nach oben, »aber grundsätzlich habe ich Spaß mit dem Auto, so langsam freunden wir uns an«, sagte Hamilton. Auf jeden Fall habe er das beste Gefühl seit Langem vor einem Saisonauftakt – ein kleiner Seitenhieb Richtung Mercedes.

Wobei auch er den Eindruck der meisten Experten teilt, dass die Bahrain-Tests einen Vorsprung von vielleicht drei Zehnteln pro Runde von McLaren vor der Konkurrenz zeigen. Dahinter balgt sich wahrscheinlich Ferrari, mit einem »zu 99 Prozent neuen Auto«, wie das Team stolz verkündete, mit Red Bull und Mercedes. »Wir haben noch Arbeit vor uns«, sagt Hamilton – ohne sich auf genaue Prognosen festnageln zu lassen.

Red-Bull-Motorsport-Koordinator Helmut Marko stellte nach dem zweiten von drei Testtagen schon einmal fest, der Ferrari mache einen guten Eindruck – auch wenn die reinen Rundenzeiten gar nicht so gut erschienen im Vergleich zu McLaren.

Doch die Teams verfügen über mehr Daten, können daher die Konkurrenz etwas genauer einschätzen. Zum Beispiel können sie mittels GPS-Daten abschätzen, ob die Konkurrenz mit mehr oder weniger Motorleistung unterwegs war, sozusagen noch nicht alles gezeigt hat, was sie kann – und was die reinen Zeiten deutlich relativiert.

Die offiziellen Testtage dienen den Teams dazu, ihre Autos auf die Saison vorzubereiten und abzustimmen. Es ist das erste große Schaulaufen. Die Rennställe gleichen ihre Daten aus Windkanal und Simulator auf der Strecke ab oder testen verschiedene Situationen: etwa, wie sich das Auto mit leerem oder vollem Tank verhält.

Ungewöhnliche Umstände in Bahrain

Eine genaue Reihenfolge der Leistung des Feldes lässt sich wegen der verschiedenen Reifenmischungen, Benzinmengen und Motorleistungen, mit denen die Autos unterwegs sind, aber nicht treffen. Die Einschätzungen fallen diesmal sogar noch schwieriger als sonst.

Bahrain ist eigentlich für stabile Wetterverhältnisse bekannt. Doch diesmal waren die Temperaturen mit rund 15 Grad an den ersten beiden Tagen niedriger als üblich. Dazu kamen Wind und Regen, nicht alle Teams hatten überhaupt Regenreifen dabei. Gewöhnlich werden diese bei den Tests nicht benötigt.

Selbst das erste Rennen, der Saisonauftakt am 16. März, dürfte diesmal noch kein klares Bild liefern. Denn dieser findet in diesem Jahr nicht in Bahrain, sondern wie früher in Australien statt. In Melbourne, auf einem Stadtkurs im Albert Park, nicht repräsentativ für die meisten anderen Strecken, dafür prädestiniert, eher überraschende Ergebnisse zu liefern.

Was sich allerdings schneller zeigen könnte: Wie schlägt sich Hamilton Ferrari-intern gegen seinen Teamkollegen Charles Leclerc? Der Monegasse ist der erste Maßstab, er hat den Vorteil, seit 2019 im Team zu sein, dort alles und jeden zu kennen, perfekt Italienisch zu sprechen. Und vor allem im Qualifying ist der WM-Dritte des Vorjahrs einer der Besten im Feld – gerade das war zuletzt bei Mercedes nicht unbedingt die Stärke von Hamilton. Immer wieder musste er Niederlagen gegen seinen Teamkollegen George Russell einstecken.

Sky-Experte Ralf Schumacher glaubt, dass Leclerc sich gerade in diesem Bereich durchsetzen könnte und dass es für Hamilton generell nicht einfach würde, die extrem hohen Erwartungen zu erfüllen. Den ersten WM-Titel seit 2007 durch Kimi Räikkönen für die Scuderia zu holen – nichts darunter wäre wohl den italienischen Tifosi und auch den Medien genug.

Hamilton will Ferrari verändern

Im Hinterkopf ist das wohl auch Hamilton bewusst – schließlich hat er das letztliche Scheitern prominenter Vorgänger wie der Mehrfachweltmeister Fernando Alonso oder Sebastian Vettel bei Ferrari beobachten können. Doch weiter scheint sich der Brite mit diesen Szenarien vorerst nicht zu beschäftigen. Er schaut nach vorn und stürzt sich in die Arbeit.

Hamilton will an seine Erfolge anknüpfen – auch neben der Strecke. Im »Time«-Magazin hatte sich der für sein soziales und politisches Engagement bekannte Brite gerade über den Machtwechsel in den USA geäußert: »Ich werde nicht ändern, was Donald Trump oder die Regierung tut. Alles, was ich tun kann, ist sicherzustellen, dass ich in meiner Umgebung versuche, Leute zu unterstützen.«

Bei Mercedes hatte Hamilton seinen Einfluss genutzt, um Diversität innerhalb des Teams voranzutreiben, gründete mit »Mission 44« ein eigenes Projekt, um unterrepräsentierte Minderheiten im Rennsport zu fördern. Bei Ferrari müsse er mit diesem Engagement praktisch wieder von vorn anfangen – darüber habe er sich vor dem Wechsel schon Gedanken gemacht, sagte Hamilton. An die Arbeit gemacht habe er sich schon: Unter seinem Einfluss unterschrieb Ferrari bereits im November 2024 eine Diversitäts- und Inklusions-Charta.

Ein Großteil der Fragen ging an ihn: Lewis Hamilton bei der offiziellen Pressekonferenz des Automobil-Weltverbands Fia in Sakhir

Foto: Clive Rose / Getty Images

Der Teamkollege ist der erste Gegner: Ferrari-Pilot Charles Leclerc

Foto: Clive Rose / Getty Images

Lewis Hamilton verlässt in seinem SF-25 die Garage

Foto: Giuseppe Cacace / AFP

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