Der Mann, den Karl-Heinz Rummenigge ohrfeigte
In der Geschichte der Fußball-Bundesliga wurden bisher knapp 7000 Profis eingesetzt, viele hat man über die 62 Jahre vergessen, einige bleiben für ewig im Gedächtnis, und das liegt manchmal auch an ihrem Namen. Erhard »Beppo« Hofeditz hat nur 163 Bundesligaspiele absolviert, und dennoch: Wer damals in den Siebzigerjahren schon Bundesligafußball verfolgt hat, der hat diesen Namen präsent, sofort dieses Gesicht vor Augen, den blonden Schopf, das hellblaue Trikot der Münchner Löwen mit den Aufdrucken »Frucade« und »Doppeldusch«.
Er spielte in einer Zeit, in der der Fußball langsamer war, auf dem Platz brutaler, die Bundesligastadien waren halb voll, die Zuschauertribünen von gewaltbereiten Hools gesäumt, im Fernsehen eine knappe Ware. Und doch sind die Spieler aus jener Zeit tief im Herzen der Fußballfans verankert, so weit mehr als heute. Katsche, Hacki, Ata, Bulle, Abi, Ente, Beppo. Beppo Hofeditz, am Donnerstag im Alter von 71 Jahren gestorben, hat lediglich drei Jahre für 1860 München gespielt, als er jetzt starb, nannte ihn die »Bild«-Zeitung einen Derby-Helden.
Als Tabellenletzter ins Derby
Manche Fußballer bleiben in Erinnerung durch ein bestimmtes Tor, durch ein sagenhaftes Dribbling, einen Fallrückzieher, manche durch einen Spruch, der es ins kollektive Gedächtnis geschafft hat. Bei Hofeditz war es eine Ohrfeige.
Am 12. November 1977 trafen der FC Bayern und 1860 München mit Hofeditz im Olympiastadion aufeinander, es war das erste Münchner Derby seit acht Jahren, und die Rollenverteilung eindeutig. Auf der einen Seite stand der Weltpokalsieger Bayern München, Sepp Maier, Gerd Müller, Georg Schwarzenbeck, Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Jupp Kapellmann. Andererseits die Löwen, gerade erst wieder in die Erste Liga aufgestiegen und bis zu diesem Novembersamstag trost- und siegloser Tabellenletzter.
Die Bayern hatten zwar bis dahin auch eine miserable Hinrunde gespielt, Franz Beckenbauer hatte sich Richtung New York verabschiedet, und dennoch: Im Derby würden sie sich doch wohl zusammenreißen. Was soll also schon passieren?
Kabinengebrüll des Trainers
Natürlich ging der Favorit in Führung, Rummenigge besorgte das 1:0, so ging es in die Pause, und Löwen-Trainer Heinz Lucas, im Klub mittlerweile schon schwer unter Druck, brüllte in der Kabine, »dass die Wände wackelten«, wie die Münchner Fußballreporter nachher schrieben. Brüllen kommt bei Löwen immer gut, und so kam der Außenseiter wie verwandelt auf den Rasen zurück. Eine Minute nach Wiederanpfiff erzielte Herbert Scheller den Ausgleich, später zog 60-Kapitän Alfred Kohlhäufl, auch so ein Name, den man einmal hört und nicht vergisst, aus 35 Metern ab und überraschte Maier.
Den Schluss- und Höhepunkt hatte sich die Partie aber für die 90. Minute aufbewahrt. Der bis dahin glücklose Löwen-Stürmer Beppo Hofeditz wurde von Rummenigge im Bayern-Strafraum einigermaßen ungeschickt angerempelt, wie das so ist, wenn Stürmer vor dem eigenen Tor agieren, und Schiedsrichter Ferdinand Biwersi pfiff sofort Elfmeter. In den Vor-VAR-Zeiten wurde das noch allein auf dem Platz ausdiskutiert, Rummenigge warf Hofeditz vor, sich den Elfmeter durch Schauspielerei ergaunert zu haben.
Was der Löwen-Stürmer antwortete, musste später von der Lokalpresse mühsam recherchiert werden. Frau Rummenigge behauptete, ihr Mann sei als »rotes Schwein« bezeichnet worden, manche sagen auch »rote Sau«, Hofeditz selbst wollte sich danach nicht mehr genau erinnern. »In dem Spiel waren so viele Emotionen, da fallen schon mal Sachen, die man hinterher nicht mehr nachvollziehen kann«, sagte er 2008 dem Sport-Portal SPOX.
Rummenigge, wegen seines Teints und seiner Jugend damals mit dem Spottnamen »Rotbäckchen« tituliert, reichte es jedenfalls und er verpasste Hofeditz das, was man in Bayern eine Watschn nennt. Wenn man so will, war man danach in Sachen Rotbäckchen quitt. Biwersi blieb nicht nur bei der Elfmeterentscheidung, er schickte den Bayernstar auch noch mit der Roten Karte vom Platz. Es war der einzige Platzverweis, den Rummenigge in den 680 Partien seiner langen Spielerlaufbahn kassierte.
Scheller verwandelte den Elfmeter zum 3:1, und München war weiß-blau.
Die magische Nacht vom Betzenberg
Abgestiegen sind die Löwen trotzdem, trotz eines Hattricks von Hofeditz bei Borussia Dortmund. Er blieb noch zwei Jahre und erlebte den Wiederaufstieg mit. Danach verkrachte er sich mit dem eigenwilligen Kapellmann, der zuvor die Münchner Vereinsfarben getauscht hatte, und wechselte zum 1. FC Kaiserslautern. Und wieder reichte ein Spiel, um ihn auch bei den Pfälzern unvergessen zu machen.
Am 17. März 1982 reiste Real Madrid zum Uefa-Cup-Viertelfinale an den Betzenberg an, es wurde die vielleicht magischste Nacht, die der FCK in Europa je gespielt hat. Die Lauterer Fans können die Aufstellung von damals heute noch heruntersingen: Ronnie Hellström, Werner Melzer, Wolfgang Wolf, Hans-Peter Briegel, Andreas Brehme, Michael Dusek, Reiner Geye, Hannes Bongartz, Friedhelm Funkel, Norbert Eilenfeldt, Beppo Hofeditz. Was für eine Ansammlung von Klub-Ikonen.
5:0 hieß es am Ende gegen Real mit Vincente Del Bosque und Uli Stielike, Hofeditz schoss zwar selbst kein Tor, aber gehörte zu den überragenden Spielern auf dem Platz. Dass der FCK am Halbfinale unglücklich am IFK Göteborg, trainiert von Sven-Göran Eriksson, scheiterte – geschenkt. Ihnen bleibt immer Madrid.
Platzverweis für Karl-Heinz Rummenigge im Derby
Foto: Hartmut Reeh / picture allianceHofeditz im Spiel gegen Real Madrid
Foto: Ferdi Hartung / IMAGO