Red Bull plagen Verlustängste

Für Rennfahrer ist die Formel 1, die Königsklasse des Motorsports, ein hartes Pflaster. Es gibt nur 20 Cockpits, wer keine Leistung (mehr) zeigt, fliegt. Der Ersatz steht schon bereit. Das gilt für Debütanten wie Routiniers. Mick Schumacher hat diese Erfahrung  ebenso gemacht wie Formel-1-Darling Daniel Ricciardo. Alpine-Rookie Jack Doohan stand schon unter Druck, bevor er seine erste vollständige Saison überhaupt begonnen hatte.

Im Fall von Max Verstappen ist das anders. Der Vierfachweltmeister ist auf dem Karrierehöhepunkt, es gibt wohl kaum einen Rennstall, der ihn nicht verpflichten wollen würde. Der Niederländer benötigt nicht das stärkste Auto, um den Unterschied zu machen. Er ist Garant für stabile Leistungen, für Titel und Preisgelder.

Im Fall von Max Verstappen ist es so, dass sich sein Rennstall Red Bull Sorgen macht, ihn halten zu können.

Beim Rennwochenende in Bahrain hatte sich das Debakel schon am Samstag angekündigt. Er fahre aktuell nicht mehr um die Weltmeisterschaft, sagte Verstappen nach Startplatz sieben im Qualifying. Die McLaren seien momentan keine Gegner mehr.

Im Rennen am Sonntag wurde es nicht besser. Der Dominator der vergangenen Jahre rangelte auf den letzten Metern mit Pierre Gasly noch um den sechsten Platz. Gasly sitzt nicht im McLaren und fährt auch nicht für ein anderes Topteam. Der Franzose fährt für Alpine. Auf Sieger Oscar Piastri fehlten Verstappen im Ziel mehr als 34 Sekunden.

»Alles ging schief. Der Start, die Pace, Boxenstopps – alles«, sagte der Red-Bull-Pilot im Anschluss beim Sender Sky . Das Rennen sei eine »Katastrophe« gewesen. Der Niederländer beklagte überhitzende Reifen, schon während des Großen Preises von Bahrain hatte er am Funk Bremsprobleme gemeldet.

Dazu kamen seltene Verzögerungen beim Boxenstopp, einer Disziplin, die Red Bull in den vergangenen Jahren beherrschte wie kein anderes Team. Zuerst war der Kabelbaum der Ampelanlage, die den Fahrern das Zeichen zum Losfahren gibt, defekt. Dann dauerte der Reifenwechsel länger als üblich, Verstappen fiel zwischenzeitlich auf den letzten Platz zurück.

In der WM-Wertung ist Verstappen nur noch Dritter, hinter den McLaren-Teamkollegen Lando Norris und Piastri. »Auto Motor Sport«  und »Motorsport total«  zufolge habe es im Anschluss in Bahrain ein Krisentreffen bei Red Bull gegeben. Es wäre schon das zweite nach dem gerade vierten Saisonrennen. Dabei hatte Verstappen vergangene Woche in Japan noch einen Sieg gefeiert.

»Dieses Rennen hat einige unserer Schwierigkeiten offengelegt, die wir schnellstens abstellen müssen. Wir verstehen, wo die Probleme sind, die Lösungen dauern etwas länger«, ließ Christian Horner wissen. »Die WM«, ergänzte der Teamchef, bestehe aus 24 Wochenenden, »und wir haben nur acht Punkte Rückstand auf den WM-Leader.«

Das mag stimmen, allerdings kämpft der Rennstall schon seit der zweiten Saisonhälfte 2024 damit, dass das einst so überlegene Auto nicht mehr wie gewohnt performt. Verstappen konnte in der vergangenen Saison seinen Titel vorrangig deswegen verteidigen, weil er in der ersten Saisonhälfte von den ersten neun Hauptrennen sieben gewinnen konnte. Ab Sommer nahm die Dominanz deutlich ab (Analysen zu den Gründen lesen Sie hier  und hier).

»Mit so einer Performance wird es mit der WM nichts werden«

In diesem Jahr, dem letzten unter dem aktuellen Reglement, liegt das Feld noch dichter zusammen. Bisher ist es aber offenbar weder Red Bull noch Ferrari oder Mercedes gelungen, den starken McLaren einzuholen.

In der Konstrukteurs-WM liegt Red Bull als Dritter bereits 80 Punkte hinter dem Team aus Woking. Das wichtigere Ziel dürfte aber ohnehin der fünfte Fahrertitel in Serie für Verstappen sein. Es wäre die längste Erfolgsserie des Rennstalls, nachdem mit Sebastian Vettel ebenfalls vier Titel in Reihe gelangen.

Dass dieses Ziel in Gefahr ist, sieht auch Helmut Marko. »Wir müssen Fortschritte bringen. Fortschritte, die sich nicht in Punkten, sondern auf der Stoppuhr äußern. Mit so einer Performance wird es mit der WM nichts werden«, sagte Red Bulls Motorsportberater. Doch er äußerte noch eine Befürchtung. »Die Sorge«, dass Verstappen das Team nach der laufenden Saison verlässt, »ist groß«, sagte der 81-jährige Österreicher.

Marko nährte damit Spekulationen über einen möglichen Abgang des Niederländers, die es schon einmal gab: Anfang 2024, als sich die Affäre um Horner , dem eine Mitarbeiterin »unangemessenes Verhalten« vorgeworfen hatte, zu einem internen Machtkampf  auswuchs. Damals war Verstappen mit Mercedes in Verbindung gebracht worden.

Hier würde sich aktuell allerdings die Frage stellen, wen Mercedes-Teamchef Toto Wolff dafür hinauswerfen sollte: George Russell zeigte mit seinem zweiten Platz in Sakhir trotz technischer Probleme eine hervorragende Leistung, »Wunderkind« Kimi Antonelli  ist gerade erst dazugekommen.

Immer wieder wurde Verstappen auch mit Aston Martin in Verbindung gebracht, seit diesem Jahr arbeitet dort Stardesigner Adrian Newey. Aus dessen Feder stammen alle Weltmeisterautos von Verstappen. Für 2026 werkelt Newey bereits am neuen Boliden der britischen Traditionsmarke.

Verstappen ist loyal, sein Vertrag läuft bis 2028. Die Frage ist aber, wie hoch seine Frusttoleranz ist, ehe er sich ernsthaft mit anderen Arbeitgebern beschäftigt. Klar ist: An Tagen wie in Sakhir werden die Teambosse immer wieder unsanft an die angebliche Ausstiegsklausel erinnert, die Verstappen einen Wechsel ermöglichen soll, wenn ihm der Rennstall kein titelfähiges Auto bieten kann.

Beim Rennen in Imola soll ein Update-Paket die ärgsten Sorgen lindern. In Saudi-Arabien am Ostersonntag (19 Uhr MEZ, Liveticker SPIEGEL.de, TV: Sky) muss sich Verstappen auf sich selbst verlassen. »Kurzfristig ist von der Technik nichts zu machen«, ergänzte Marko.

So etwas dürfte ein ehrgeiziger Fahrer wie Verstappen nicht gern hören. Sky-Experte Ralf Schumacher rechnet schon mit personellen Konsequenzen nach dem ernüchternden Saisonstart. »Es wird eng für Red Bull. Das Stühlerücken wird beginnen, da bin ich mir sicher«, sagte der frühere Formel-1-Pilot.

Mit Material von dpa und sid

Statt Solofahrten an der Spitze musste sich Max Verstappen in Bahrain mühen, am Alpine von Pierre Gasly vorbeizukommen

Foto: Clive Mason / Getty Images

Max Verstappen in Bahrain: »Fahre aktuell nicht mehr um die Weltmeisterschaft«

Foto: Mark Thompson / Getty Images

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