Diese Probleme muss Bundestrainer Wück bis zur EM lösen

Christian Wück hätte sich die deutliche Kritik gern erspart. Immerhin war es für den Bundestrainer der deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen ein Heimspiel. Wück ist in Unterfranken geboren, seine schönste Zeit als Profi erlebte er Anfang der Neunzigerjahre beim 1. FC Nürnberg.

Am Dienstagabend spielte Wücks Team in Nürnberg, der erste Heimsieg in seiner Amtszeit sollte unbedingt her. Doch dann kam die dritte Spielminute, eine Verkettung von Fehlern schenkte den Gegnerinnen aus Österreich – mal wieder – ein frühes Gegentor, und Wück musste mit ansehen, wie seine Spielerinnen sehr lange nicht in dieser Nations-League-Partie ankamen. Er sei »überhaupt nicht zufrieden« gewesen, sagte der Bundestrainer im ZDF.

Nach 90 Minuten lautete das Ergebnis 4:1 für Deutschland. Der ersehnte Heimerfolg im sechsten Länderspiel unter Wücks Regie fiel vor 14.394 Zuschauerinnen und Zuschauern letztlich deutlich aus. In der Tabelle der Nations-League-Gruppe 1 liegt Deutschland punktgleich vor den Niederlanden auf dem ersten Platz.

Gegen Österreich lief die zweite Hälfte verheißungsvoll – und doch war es für den Nachfolger von Horst Hrubesch, der in Nürnberg an der Seite von Freiburgs Ex-Trainer Christian Streich auf der Tribüne saß, die Bestätigung der Baustellen, die schon beim 2:2 gegen die Niederlande zutage traten. Wobei Wück nicht von Baustellen sprechen mag; er ordnet die Defizite seiner Mannschaft als »Herausforderungen« ein.

Im kommenden Sommer steht die Europameisterschaft in der Schweiz an. Deutschland gehört zum Favoritenkreis und Wück weiß, worauf er sich verlassen kann:

  • Offensive: In den sechs Spielen seit dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen erzielte das DFB-Team 18 Tore, dabei trafen zwölf verschiedene Spielerinnen.

  • Standardsituationen: Wenn Klara Bühl mit ihrer Beidfüßigkeit Ecken und Freistöße in den Strafraum schlägt, wird es regelmäßig gefährlich. Gegen die Niederlande und Österreich zeigte das Team zudem verschiedene Varianten und ist somit noch schwieriger auszurechnen.

  • Kopfballstärke: Nach dem Remis gegen Oranje sagte Wück, per Kopf erzielte Tore müssten »ein Markenzeichen dieser Mannschaft werden«. Dabei ist das nicht neu, das Nationalteam lebte viele Jahre von Alexandra Popps Kopfballfähigkeiten. Popp ist nach ihrem Rücktritt nicht mehr dabei, doch dank Lea Schüller wurde diese Stärke nicht eingebüßt. Mit Sjoeke Nüsken, Rebecca Knaak oder Sara Däbritz gibt es weitere kopfballstarke Spielerinnen.

  • Breiter Kader: Zumindest in der Offensive hat Wück sehr viele Optionen. Sturmspitze Schüller sowie Bühl und Jule Brand auf Außen scheinen vorerst gesetzt, doch dahinter drängen sich viele Spielerinnen auf. Gegen Österreich trafen mit Linda Dallmann, Giovanna Hoffmann und Vivien Endemann drei Einwechselspielerinnen.

Die Analyse der sechs Spiele unter Wück zeigt aber eben auch, dass es wiederkehrende Probleme gibt, die der Coach, der erstmals im von Frauen gespielten Fußball tätig ist, noch nicht beheben konnte.

Hierarchie im Tor

Silke Rottenberg, Nadine Angerer, Almuth Schult – im Tor hatte die deutsche Nationalmannschaft meist herausragende Persönlichkeiten. Seit den Olympischen Spielen gibt es jedoch keine klare Nummer eins mehr. Hrubesch ersetzte in Paris die langjährige Stammtorhüterin Merle Frohms durch Ann-Katrin Berger, eine kluge Entscheidung, die Berger zur Fußballerin des Jahres machte, Frohms aber zum Rücktritt bewegte.

Wück vermied es daraufhin, eine klare Hierarchie zu benennen. Es spielten Berger, Frankfurts Stina Johannes, Sophia Winkler von der SGS Essen und Ena Mahmutovic (FC Bayern). Im April vor den kommenden Nations-League-Partien gegen Schottland will sich Wück entscheiden, neben der 34 Jahre alten Berger und Johannes, 25, könne sich laut Wück auch Rafaela Borggräfe, 24, vom SC Freiburg Hoffnungen machen. Winkler fällt mit einer schweren Knieverletzung aus, Mahmutovic sei zudem keine ernsthafte Kandidatin mehr.

Nun gibt es im modernen Fußball immer mal wieder Trainer, die ein Wechselspiel im Tor vollziehen, wie Xabi Alonso bei Bayer Leverkusen. Doch im Nationalteam scheint das nur bedingt leistungsfördernd zu sein, Johannes leistete sich zumindest gegen Österreich zwei Unsicherheiten. Für Berger spricht die Olympiaerfahrung und ihre gute Spieleröffnung, sie scheint vorerst die Favoritin zu sein.

Besetzung der Innenverteidigung

Während Wück im Tor und in der Offensive viele Optionen hat, sieht es in der Abwehr bescheiden aus. Marina Hegering ist zurückgetreten, Kathrin Hendrich ist in Wolfsburg nicht mehr unumstrittene Stammspielerin, Sara Doorsoun fehlt aktuell wie Hendrich verletzt, genügt aber auch nicht mehr höchsten Ansprüchen. Ähnlich muss das Urteil bei ihrer Frankfurter Vereinskollegin Sophia Kleinherne ausfallen.

So wunderte es nicht, dass Wück mit Rebecca Knaak eine Novizin nominierte, die im Alter von 28 Jahren nun ihre ersten A-Länderspiele bestritt. Die zweikampfstarke Knaak, seit dem Winter bei Manchester City aktiv, spielte sowohl in den Niederlanden als auch gegen Österreich an der Seite von Janina Minge (VfL Wolfsburg). Minge ist gelernte Mittelfeldspielerin, läuft aber auch in der Bundesliga bisweilen als Innenverteidigerin auf.

Wück sind die Hände gebunden. Aus dem Nachwuchs – seit dem vergangenen Jahr hat der DFB wieder ein U23-Nationalteam etabliert – drängt sich derzeit keine Innenverteidigerin auf. Und sollten Hendrich, Doorsoun oder Kleinherne in der Rückrunde keinen Leistungssprung hinlegen, sollte der Bundestrainer vorerst auf das Duo Knaak-Minge setzen. Auch wenn es wegen der zu geringen Schnelligkeit von Knaak und dem einen oder anderen Stellungsfehler von Minge nicht die Idealbesetzung ist. Es ist wie bei der Torhüterin: Ab sofort muss sich die Defensivformation einspielen.

Ein ähnliches Muster

Sowohl beim 0:1 von Lineth Beerensteyn am vergangenen Freitag als auch beim frühen Gegentor der Österreicherin Annabel Schasching sah die hinterherlaufende Knaak am Ende wie die Hauptschuldige aus. Doch so einfach ist es nicht.

Die Tore fielen nach einem ähnlichen Muster und hätten durch eine bessere Staffelung im deutschen Mittelfeld verhindert werden können. Es gab jeweils einen Ballverlust weit entfernt vom deutschen Tor. Doch sowohl die Niederlande als auch Österreich nahmen die zu weit aufgerückten Elisa Senß und Sjoeke Nüsken im defensiven Mittelfeld mit einem Tiefenpass aus dem Spiel. Senß und Nüsken sind derzeit die Idealbesetzung, noch besteht allerdings Hoffnung auf ein Comeback von Lena Oberdorf, der besten deutschen Spielerin auf dieser Position.

Wück muss bei den kommenden Lehrgängen am Defensivverhalten der gesamten Mannschaft feilen. In welchen Momenten wird gemeinsam gepresst? Wie sieht die Staffelung im Mittelfeld aus? Wann rücken die Außenverteidigerinnen ein? Wann ist es für Minge in Ordnung vorzustoßen? Wenn die Abstimmung besser funktioniert, können die Gegnerinnen etwaige Ballverluste nicht so leicht ausnutzen.

Vermeidung von frühen Gegentoren

0:1 gegen Italien in der 11. Minute, 0:1 gegen die Niederlande in der 13. Minute, gegen die Nachbarinnen aus Österreich fiel das Tor von Schasching gar in der 3. Minute. Wücks Spielerinnen haben zuletzt dreimal frühe Konzentrationsschwächen gezeigt.

Am Dienstagabend wirkte sich der Treffer auf fatale Weise auf die Leistung der Mannschaft aus. Wück sprach im Anschluss von »Stückwerk«, sein Team habe viele leichte Fehler gemacht und »alle Zweikämpfe verloren«, was glücklicherweise nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber bis zum Ausgleich von Laura Freigang (39.), der wieder durch einen Freistoß aus dem Halbfeld vorbereitet wurde, lief tatsächlich sehr wenig zusammen.

Bei der EM, wo in der Gruppenphase mit Schweden und Dänemark zwei starke Gegner warten und es im Viertelfinale vermutlich gegen England oder Frankreich weitergehen wird, könnte solch eine Schläfrigkeit zum frühen Ausscheiden führen. Dann würde es wieder deutliche Kritik geben.

Klara Bühl: Ecken mit rechts und links

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Angelika Warmuth / REUTERS

Bundestrainer Christian Wück: Die Defensive als »Herausforderung«

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Angelika Warmuth / REUTERS

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