Ein kompliziertes Szenario könnte zu Klitschko führen
Nach seinem Leberhaken-Triumph über China-Koloss Zhang Zhilei hat Agit Kabayel einen WM-Kampf gegen Schwergewichts-König Oleksandr Usyk sicher. Jedenfalls auf dem Papier. Denn dass Kabayel den Ukrainer zeitnah vor die Fäuste bekommt, ist alles andere als sicher. Wie es weitergeht? Es ist kompliziert.
Agit Kabayel ist durch seinen K.-o.-Sieg gegen den gefürchteten Knockouter Zhang Zhilei endgültig in der Weltspitze des Box-Schwergewichts angekommen. Beim Weltverband WBC firmiert der "Leberking" aus dem Ruhrpott sogar schon als "Interims"-Weltmeister. "Er ist damit eine Art Zwischen-Weltmeister", dröselt Box-Manager Bernd Bönte im Interview mit RTL/ntv und sport.de den eigenwilligen Begriff auf: "Praktisch alle Verbände haben diesen Status eingeführt, weil es im Schwergewicht nun seit längerer Zeit mit Oleksandr Usyk einen Weltmeister gibt, der die Titel mehrere Verbände hält und kurz sogar alle Gürtel innehatte."
In solch einem Fall gebe es ein "Rotationsverfahren" unter den großen Weltverbänden WBA, WBC, IBF und WBO, um den nächsten Herausforderer des Vereinigungs-Weltmeisters zu bestimmen, erläutert Bönte, der das Spielchen noch aus seiner Zeit als Manager von Wladimir Klitschko kennt. Auch "Dr. Steelhammer" hielt von 2008 bis 2015 mehrere WM-Gürtel. "Wenn ein Vereinigungskampf ansteht, verzichten normalerweise alle Verbände darauf, auf einen Kampf gegen ihren jeweiligen Pflichtherausforderer zu bestehen, der eigentlich einmal im Jahr stattfinden soll", führt Bönte aus.
Und genau dieser Umstand könnte Kabayel in den Wartestand versetzen. WBA/WBC/WBO-Weltmeister Usyk hatte schon vor dem Sieg des Deutschen in Riad kundgetan, er wünsche sich IBF-Weltmeister Daniel Dubois als nächsten Gegner. Der Brite hätte am Wochenende seinen Titel gegen Joseph Parker verteidigen sollen, musste kurzfristig aber wegen eines Infekts absagen.
Aber vorher: der "Showdown um alles"?
Für Usyk wäre ein Duell mit Dubois finanziell lukrativer als die Pflichtaufgabe Kabayel. "Das ist ein Kampf, den man locker in einem englischen Stadion machen kann", ordnet Bönte die Dimension ein: "Und außerdem gibt es ja noch immer diese Diskussion aus dem ersten Kampf: War es ein Tiefschlag oder nicht? Es ist sicher ein Duell, das auch die Boxfans sehen wollen", sagt der DAZN-Experte. Zudem sei der "Showdown um alles" auch das Gefecht, das der saudische Box-Mogul Turki Al-Sheikh am liebsten sehen wolle.
Usyk hatte Dubois (damals WBA-Pflichtherausforderer) im Sommer 2023 in Breslau durch K.o. in Runde neun besiegt. Der Weltmeister war dabei in Runde fünf nach einem vermeintlichen Körpertreffer des Engländers selbst zu Boden gegangen. Weil Dubois' rechter Körperhaken knapp unterhalb des Bauchnabels auf Blasenhöhe einschlug, wertete der Ringrichter die Aktion als Tiefschlag, gab Usyk mehrere Minuten Zeit, um sich zu erholen. Dubois und sein Promoter Frank Warren witterten dennoch Betrug - vor allem in England tobt seither eine Debatte über die Wertigkeit von Usyks Sieg.
Der Ukrainer bezwang nach seinem Sieg über Dubois mit Tyson Fury 2024 den nächsten Briten, krönte sich zum ersten unumstrittenen Schwergewichts-Weltmeister aller anerkannten Verbände seit 1999. Weil Usyk Ende des Vorjahres zur Revanche gegen Fury in den Ring stieg, statt dem bei der IBF zum Pflichtherausforderer aufgestiegenen Dubois seine Chance zu geben, entzog der in den USA ansässige Verband dem Champion den rot-goldenen Gürtel. Seither ist Dubois IBF-Champion, er verteidigte das Championat im Herbst 2024 eindrucksvoll durch K.o. gegen Superstar Anthony Joshua.
Längere Rede, kurzer Sinn: In der Buchstaben-Suppe der Weltverbände muss man lange schwimmen, braucht es einen langen Atem bis zum Kampf um den Weltmeister-Titel. Das gilt auch für "Interims"-Champion Kabayel. Ob der 32-Jährige in Bälde seine Chance bekommt, hängt davon ab, "was der neue Undisputed Champion - also Usyk oder Dubois - dann macht", erläutert Bönte: "Ab diesem Moment kommen dann die Pflichtherausforderer."
Möglich, dass sich Kabayel dann im angesprochenen Rotationsverfahren der Weltverbände hintenanstellen muss. Mit Joseph Parker gibt es auch bei der WBO einen "Interims"-Titelträger. Der Neuseeländer wartet schon länger als Kabayel auf den Zuschlag für einen Kampf um einen vollwertigen Titel. Der letzte WBO-"Mandatory" war ironischerweise Usyk, der durch diesen Status 2021 gegen Joshua zum Zug kam und den Briten in London entthronte. Beim WBC bekam der Engländer Dillian Whyte 2022 als "Interims"-Meister eine Titelchance gegen den damaligen Champion Fury (der Whyte k.o. schlug).
Allerdings gibt es noch ein Szenario, in dem Kabayel ohne Faustschlag der erste deutsche Schwergewichts-Weltmeister seit Max Schmeling und damit 1930 wird. Sollte ein neuer unumstrittener Weltmeister den WBC-Titel niederlegen oder nicht fristgemäß gegen Kabayel verteidigen, könnte der Verband den Bochumer am Grünen Tisch zum vollwertigen Champion erklären. Entsprechend war im Vorjahr die IBF verfahren: Als Usyk nicht gegen Dubois antrat, stuften der Verband den Engländer zum "richtigen" Weltmeister hoch.
Auch der WBC hat schon so gehandelt: 1978 wurde Ken Norton Schwergewichts-Champion, weil Muhammad Ali nicht (ein viertes Mal) gegen ihn antrat. Lennox Lewis "gewann" den WBC-Titel 1992 ebenfalls durch Proklamation der Funktionäre, weil Weltmeister Riddick Bowe den grün-goldenen Gürtel in eine Mülltonne geworfen hatte.
Denkbar wäre auch, dass der WBC Kabayel zu einem WM-Kampf gegen einen anderen Gegner verpflichtet, sollte die vereinte Schwergewichts-Krone zersplittern - etwa durch einen Rückzug Usyks. Und hier geht dem früheren Klitschko-Manager ein Kampf durch den Kopf, der Box-Deutschland elektrisieren würde: Agit Kabayel gegen Wladimir Klitschko.
"Kohle" ist kein Problem
"In dem Moment, in dem die Titel vakant werden, ist es möglich, dass einer der Verbände sagt: Hier machen wir eine Tür auf für einen Ex-Champion mit langjährigen Verdiensten um den Boxsport. Da würde sich der WBC auch anbieten", sagt Bönte, der den Klitschko-Brüdern viele Jahre als Manager zur Seite stand.
Der Ex-Weltmeister liebäugelt mit einem Comeback, nach sport.de-Informationen plante Klitschko seine Rückkehr nach fast acht Jahren Boxer-Rente eigentlich schon für vergangenen Samstag gegen Dubois. Den 48-Jährigen treibt der Rekord von Faustkampf-Ikone Goerge Foreman an. Der Amerikaner hatte sich 1994 mit 45 zum ältesten Schwergewichts-Champion der Geschichte gekrönt. Klitschko wird im März 49 Jahre alt.
Bestärkt wird der Ukrainer von Turki Al-Sheikh. Der Vorsitzende der saudischen Unterhaltungs-Behörde, die das Preisboxen zurzeit kontrolliert, hatte sich schon Ende 2024 für ein Comeback Klitschkos ausgesprochen, um diesem die Chance einzuräumen, Foremans Rekord zu knacken - passenderweise auch beim WBC-Kongress in Hamburg (bei dem auch Klitschko zu Gast war).
Kabayel vs. Klitschko um die WBC-Krone? "Damit bekommt man in Deutschland natürlich jedes Stadion voll", betont der frühere Klitschko-Manager Bönte: "Da kann man auf Schalke boxen oder Düsseldorf. Kabayel kommt ja aus NRW." Der "Leberking" selbst würde nur zu gerne in der Heimat boxen. "Auch wenn ich jetzt gerade in Saudi-Arabien das große Geld verdiene. Ich würde in den sauren Apfel beißen und in Deutschland kämpfen, auch wenn ich Abstriche bei der Kohle machen müsste", sagte Kabayel im Interview mit sport.de. Sein Manager Spencer Brown brachte nach dem Erfolg über Zhang ebenfalls einen Kampf in Deutschland ins Spiel. "Kohle"? Bei einem Blockbuster gegen Klitschko kein Problem.
Der Junge aus dem Ruhrpott gegen Deutschlands einstigen Boxliebling, der es noch einmal wissen will. Ein Traum für jeden Promoter. Stand jetzt ist es nur ein verwegenes Gedankenspiel - allerdings eines, das zu den verrückten Geschichten des Boxgeschäfts passt wie Kabayels linker Haken auf die Leber.