Andrij Jermak ist Selenskyjs Mann fürs Unmögliche - und ein Rätsel
Die USA liefern der Ukraine wieder Waffen und teilen Aufklärungsdaten. Das ist auch das Verdienst von Andrij Jermak, einem der engsten Vertrauten von Präsident Selenskyj. Er entwickelt sich zu einer Art Geheimwaffe in den Verhandlungen mit Trump.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird wohl weiterhin nicht Anzug und Krawatte tragen, auch wenn das einige aus der Umgebung seines US-amerikanischen Amtskollegen Donald Trump fordern. Das würde im Krieg gegen Russland schlicht ein falsches Gefühl der Normalität an die Gesellschaft zu Hause vermitteln. Sein wichtigster und engster Vertrauter, Stabschef und faktischer Chefdiplomat Andrij Jermak, hat dies aber schon am Tag des Eklats im Weißen Haus getan - zum ersten Mal seit dem russischen Großangriff vom 24. Februar 2022. Bei den jüngsten Verhandlungen mit den US-Amerikanern, bei denen er die ukrainische Delegation de facto anführte, trug er ebenfalls Anzug.
Das mag wie eine Randnotiz wirken, ist aber ein wichtiges Zeichen. Der 53-jährige Jurist ist zwar kein Schattenpräsident hinter Selenskyjs Rücken, so wie es Kritiker behaupten. Zu oft soll es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Präsidenten und seinem wichtigsten Mitarbeiter gekommen sein, der wie Selenskyj seit drei Jahren im Präsidentenbüro in der Bankowa-Straße übernachtet. Schließlich hat Jermak am Ende immer das getan, was sein Chef wollte.
Doch während die Ukraine eine semipräsidentielle Republik mit einem starken Parlament ist, wirkt Jermak mächtiger als Ministerpräsident und Parlamentsvorsitzender zusammen. Der Grund: Die Selenskyj-Partei Diener des Volkes holte bei den Wahlen 2019 die absolute Mehrheit im Parlament, was sich bei der nächsten Wahl, wann auch immer sie nach der Aufhebung des Kriegsrechts ausgetragen werden sollte, sicher nicht wiederholen wird. Bisher kann aber Selenskyj die Richtung vorgeben - und Jermak kontrollieren, wie die Regierung diese dann in die Praxis umsetzt.
Enge Beziehung zu Bidens Sicherheitsberater
Zu den Grundkompetenzen des ukrainischen Präsidenten gehört laut Verfassung neben der Verteidigungs- auch die Außenpolitik. So gesehen könnte man Jermak als den eigentlichen Außenminister bezeichnen. Während der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden war der 53-Jährige der wichtigste Mann für die Beziehungen mit den USA. Sein Verhältnis zum Außenministerium in Washington war eher schlecht, doch baute er enge Beziehungen mit Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan auf. Die beiden telefonierten zumindest wöchentlich miteinander. So ließen sich einige der Probleme und Fragen unbürokratisch lösen.
Ob das aber auch mit Donald Trump und Sullivans Nachfolger Michael Waltz so bleiben wird, war lange unklar. Im politischen Kiew war öfters zu hören, das Trump-Team sei mit Jermak unzufrieden. Wegen seiner verbesserungsbedürftigen Englisch-Kenntnisse und weil er dennoch keinen Dolmetscher einsetzt. Trotzdem war es Jermak, der bei den Verhandlungen in Saudi-Arabien die führende Rolle spielte. Und die Ergebnisse können sich sehen lassen: Während der größten Krise der amerikanisch-ukrainischen Beziehungen überhaupt konnte Jermaks Team zumindest die Wiederaufnahme der amerikanischen Waffenlieferungen sowie die Teilung der Aufklärungsdaten mit Kiew vorerst sichern. Mehr war wohl sowieso nicht drin. Die Ukrainer haben zumindest im ersten Schritt das Maximum aus den Gesprächen herausgeholt.
Aus Sicht Kiews sollten die Verhandlungen zwischen Ukraine und USA möglichst nicht persönlich von Selenskyj und Trump geführt werden. Zu groß sind beide Egos. Trump mag seinen ukrainischen Amtskollegen nicht, würde ihn wohl am liebsten loswerden - das ist offensichtlich. Je weniger man direkt miteinander kommuniziert, desto besser. Doch es gab in der Ukraine durchaus Zweifel, ob Jermak stattdessen der richtige Mann dafür ist. Er war nach Selenskyjs Wahlsieg 2019 auch für Verhandlungen mit Russland, erst als außenpolitischer Berater und dann als Stabschef, verantwortlich. Viele fragen sich, wie der 53-Jährige überhaupt erfolgreich Verhandlungen führen kann. Ein Charismatiker ist er nicht - und ein guter Redner ist er auch weder auf Ukrainisch noch im Russischen.
Phlegmatische Art könnte helfen
Der bekannte ukrainische Politologe Wolodymyr Fessenko hat gute Drähte ins ukrainische Präsidialamt und kennt Jermak persönlich. Gerade seine "phlegmatische" und unemotionale Art helfe derzeit gegen das Trump-Team, meint er. "Seine langsamen und langen Sätze erweisen sich ironischerweise als Vorteil", so der Experte. Doch wie erfolgreich auch immer Jermak verhandelt: In der Ukraine wird er innenpolitisch umstritten bleiben. Selenskyj trifft zwar strategische Entscheidungen selbst, doch ist der Vorwurf der allzu großen Machtkonzentration mit Blick auf Jermak nicht grundlos.
Personen, die Jermak gegenüber persönlich nicht loyal sind, bleiben nicht lange im Amt. Auch hier trifft zwar Selenskyj die Entscheidungen, Jermak könnte ihn aber sicher beeinflussen. Fragwürdig ist auch Jermaks Stellvertreter Oleh Tatarow. Er ist für die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden verantwortlich und wird von der ukrainischen Zivilgesellschaft kritisiert. Ohne Jermak wäre er wohl nicht im Amt, obwohl es zwischen den beiden in letzter Zeit Spannungen gegeben haben soll. Jermak scheint für Selenskyj unverzichtbar zu sein - auch dann, wenn es um die Verhandlungen mit der heutigen US-Administration geht.