Männer wären die besseren Frauen – und andersrum
Als ich klein war, hatte ich vor allem weibliche Bezugspersonen. Wie die meisten Kinder. Meine Mutter, Kindergärtnerinnen und Frau Koretzky, die gute Seele in unserem Haus, die meine Mutter bei allerlei Alltäglichem unterstützte und uns zu Geburtstagen und Weihnachten eine ganz hervorragende Käse-Sahne-Torte schenkte. Ich mochte sie alle sehr. Die Frauen und die Torte. Frau Koretzky fand ich so toll, dass ich all das machen und können wollte, was sie auch konnte.
Weil zu ihren Aufgaben in unserem Haushalt unter anderem das Staubsaugen gehörte, wünschte ich mir einen Spielzeugstaubsauger, mit dem ich neben ihr hersaugte. Insgeheim stand für mich fest: Wenn ich mal groß bin, dann möchte ich Frau Koretzky sein.
Jahre später, es muss zu Oberstufenzeiten in der Schule gewesen sein, arbeitete ich mit einem Klassenkameraden einen Masterplan für unser zukünftiges Leben aus. Wir nahmen uns vor, Frauen zu heiraten, die sehr viel arbeiteten und dabei sehr viel Geld verdienten, sodass wir zu Hause bleiben und uns um Kinder und Haushalt kümmern könnten. Fester Bestandteil des Plans: Tägliches Billardspielen am Vormittag, während Frau und Kinder mit Job und Schule beschäftigt sind. Alles daran klang für uns perfekt.
Beides hat nicht geklappt. Ich bin weder Hausmann noch Frau Koretzky. Immer wenn ich mich frage, an welcher Stelle ich falsch abgebogen bin, schimpfe ich aufs System. Und auf den Gender-Pay-Gap, der mich – als Mann – quasi dazu zwingt, in Vollzeit zu arbeiten, weil ich so unanständig viel mehr Geld verdiene als meine Frau.
Nun weiß ich natürlich, dass das eine faule Ausrede ist und ich die Möglichkeit hätte, deutlich weniger oder gar nicht zu arbeiten. Gut, wir müssten als Familie unseren Lebensstil überdenken, aus Hamburg herausziehen und uns deutlich einschränken. Und ich würde zum Paria und müsste mich bei jeder Gelegenheit erklären. Kurzum: Es wäre möglich, aber nicht besonders komfortabel und erstrebenswert.
Warum ist das eigentlich so? Die Frage geht in erster Linie an jene Mitmänner, die das Patriarchat so hartnäckig verteidigen. Warum tauschen wir Macht, Einfluss und Geld gegen Freiheit und Zeit mit der Familie oder zur freien Verfügung? Wieso überlassen wir die lästige Erwerbsarbeit nicht viel mehr den Frauen und übernehmen dafür die Kontrolle über Haus und Kinder?
Mir ist schon klar, dass es bestimmte Dinge gibt, die aus guten Gründen in der Verantwortung von Frauen liegen: Schwangerschaft und Geburt, gegebenenfalls auch das Stillen (wobei ich an dieser Stelle schon einmal geschrieben habe, dass ein Leben ohne Muttermilch möglich ist). Aber alle anderen Aufgaben, die im traditionellen Rollenverständnis Frauen übernehmen, können wir Männer nicht nur genauso gut, sondern (und ich freue mich jetzt schon auf jede einzelne Mail von Leserinnen und Lesern) sogar besser.
Ich kann auch erklären, warum: Viele Frauen setzen sich (selbst und gegenseitig) enorm unter Druck. Sie vergleichen Fähigkeiten und Leistungen der Kinder, beobachten, bewerten und beurteilen ständig die Erziehung von anderen und fragen sich, ob sie selbst alles richtig machen. Fürsorge ist für sie vor allem Sorge. Sie haben den Eindruck, immer für andere mitdenken und mitfühlen zu müssen. Der sogenannte Mental und Emotional Load, den sie spüren und unter dem sie leiden, muss furchtbar anstrengend sein.
Und ja, ich weiß, dass ich Stereotype reproduziere. Aber all das sage nicht nur ich als Mann. Das sagen auch Frauen. Zum Beispiel die Pädagogin und Familienberaterin Susanne Mierau im Gespräch mit meiner Kollegin Nathalie Klüver . »Emotional Load ist vor allem ein weibliches Thema«, so Mierau. »Wir lernen schon als kleine Mädchen, dass wir immer darauf zu achten haben, was andere wollen, dass wir verantwortlich dafür sind, dass sich alle anderen gut fühlen.«
Die meisten Männer sind da anders. Wir machen uns nicht andauernd Sorgen. Ja, das bedeutet auch, dass wir Dinge vergessen oder übersehen, dass wir vielleicht nicht immer wissen, wann die Englischlehrerin Geburtstag hat, und dass wir unserem Kind beim Abholen aus der Kita eventuell mal die falschen Schuhe anziehen. Aber das stört uns nicht, weil die Welt davon nicht untergeht.
Ich glaube, dass Männer im Allgemeinen ein entspannteres Verhältnis zu sich und ihrer Umwelt haben als Frauen. Uns ist deutlich mehr egal, und wir setzen uns weniger unter Druck. Trotzdem sind wir in der Lage, einen Haushalt zu führen und Kinder großzuziehen. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass Männer die besseren Frauen wären, oder genauer: dass wir alle ein besseres Leben hätten, wenn Männer die Aufgaben übernehmen würden, die wir klassischerweise Frauen überlassen.
Denn – auch davon bin ich überzeugt – wir würden alle davon profitieren, wenn Frauen nicht einen Großteil ihrer physischen und psychischen Energie in die Familie stecken müssten, sondern statt Männern die führenden Positionen in Politik und Wirtschaft übernähmen. Und zwar aus denselben Gründen: Frauen sind empathischer und weniger rücksichtslos als Männer. Sie denken an andere, haben die Konsequenzen ihrer Handlungen im Blick und hinterfragen sich selbst. Genau das brauchen wir in Regierungen und großen Konzernen. Oder glauben Sie nicht, dass die Welt ein schönerer Ort wäre, wenn statt Donald Trump eine Frau mit emotionaler Kompetenz die USA regieren würde?
Schreiben Sie mir gern in einer E-Mail an familiennewsletter@.de , was Sie von meiner Rollentauschidee halten.
Meine Lesetipps
Ich habe bereits davon gesprochen, dass der Gender-Pay-Gap für viele gesellschaftliche Probleme zumindest mitverantwortlich ist. Meine Kollegin Rina Wilkin hat zusammen mit den Kollegen Bernard Riedmann und Florian Gontek ein interaktives Tool gebastelt, in dem Sie nachschauen können, in welchen Berufen die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen besonders groß sind.
Die gute Nachricht: Es gibt auch Jobs, in denen Frauen mehr verdienen als Männer. Die schlechte: Dabei handelt es sich vor allem um Branchen wie Bildhauerei, Webstuhlmeisterei oder Natur- und Landschaftspflege. Sicher alles ehrenwerte Jobs, in denen aber nur vergleichsweise wenige Menschen arbeiten. Hier können Sie selbst nachschauen, wie die Situation in Ihrem Beruf ist .
Ebenfalls zu dem Thema hat meine Kollegin Maren Hoffmann ein sehr interessantes Interview mit dem Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Stefan Waschmann geführt. Er sagt: »Diejenigen, die am lautesten schreien, werden besser bezahlt – das bevorteilt oft Männer.« Hier können Sie nachlesen, warum das so fatal ist und wie sich daran etwas ändern könnte .
Empfehlen möchte ich Ihnen heute außerdem zwei Meinungsbeiträge von überaus klugen Kolleginnen. Eva Thöne schreibt in ihrem Leitartikel im Grunde das, was ich meine, sie formuliert es nur eleganter. Gerade weil wir in so unsicheren Zeiten leben, die von globalen Bedrohungen und Männern wie Trump und Putin bestimmt sind, »ist es entscheidend, die Denkweisen dieser Männer nicht zur eigenen dominanten Perspektive auf Politik und Gesellschaft werden zu lassen.« Recht hat sie.
Und Susanne Beyer nimmt in ihrer aktuellen Kolumne eine leicht andere gedankliche Abzweigung. Sie fragt sich, welchen Anteil sie selbst als emanzipierte und starke Frau an der gesellschaftlichen Fehlentwicklung hat, die wir gerade erleben, und vor allem, wie wir die Welt wieder in bessere Bahnen lenken. Sie kommt zu dem smarten Schluss, dass sie Männern wie Trump die Gelegenheit geben möchte, über ihre Angst vor der Gleichberechtigung zu sprechen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. »Männer dürfen auch in der heutigen Welt kaum lernen, über Ängste zu reden«, schreibt Susanne. Und der Gedanke, wie sie bei einer Tasse Tee mit dem US-Präsidenten zusammensitzt und ihn dazu bringt, ihr sein Herz auszuschütten, ist so charmant, dass Trump allein dadurch weniger bedrohlich und menschlicher wirkt.
Mein Buchtipp
Passend zum Thema starke Frauen empfehle ich heute ein Buch, in dem es um eine junge starke Frau geht. Nämlich um Karlchen. Karlchen heißt eigentlich Karla Özgül Elisabeth, aber »wenn ihre Mama sie mit allen drei Vornamen rief, dann war die Kacke am Dampfen«, wie es schonungslos ehrlich schon im Prolog heißt.
Karlchen wohnt mit ihren Eltern und ihrem wunderbar kindischen Opa auf einem Bauernhof und erlebt dort Abenteuer mit den Stadtkindern Alban und Pippa, dem freundlichen Hängebauchschwein Umberto und dem aggressiven Hahn Sacramento. Das Buch von Lisa-Marie Dickreiter und Andreas Götz – mit tollen Bildern von Barbara Scholz – trägt den schönen Titel »Karlchen hilft allen, ob sie wollen oder nicht«. Es wurde mit dem Deutschen Kinderbuchpreis 2023 ausgezeichnet, und ich verstehe gut, warum.
Das jüngste Gericht
Und ich habe noch eine starke Frau im Angebot: unsere Kochkolumnistin Verena Lugert. In ihrem umfangreichen Rezeptarchiv bin ich passend zum beginnenden Frühling auf ein Falafelgericht gestoßen, zu dem Verena schreibt: »Außen bräunlich, wie sich Wald und Feld bis jetzt noch präsentieren, sind unsere Falafelbällchen, innen jedoch pulsierend grün und randvoll mit Aromen. So wie der Frühling.«
Hier geht es zum Rezept. Guten Appetit!
Mein Moment
In meinem letzten Newsletter erinnerte ich mich an den Beginn der Coronapandemie vor fünf Jahren und zitierte aus unserer Familienchatgruppe. Ich bat Sie um Einsendungen aus Ihren Familien, die wir demnächst in einem eigenen Artikel veröffentlichen werden.
Als kleine Vorschau hier schon mal eine Nachricht, die Patrick T. am 3. April 2020 verschickte:
»Cool, noch dreimal rausgehen und dann ist Weihnachten!«
Ein schönes Beispiel dafür, dass man auch in herausfordernden Zeiten nicht den Humor verlieren darf. Sollten Sie noch Nachrichten aus dem Frühjahr 2020 haben, die Sie mit uns und anderen Leserinnen und Lesern teilen wollen, schicken Sie sie mir gern .
Ich wünsche Ihnen ein beschwingtes Wochenende und eine fröhliche kommende Woche.
Herzlich
Ihr Malte Müller-Michaelis
Vater und Tochter beim Stricken: Wir Männer setzen uns weniger unter Druck (Symbolbild)
Foto:Westend61 / Getty Images