»Ich bin der schlechteste Fußballer der Welt«

Viele Fußballfans neigen zu starken Emotionen und Überreaktionen. Selbst kleine Erfolge werden überschwänglich gefeiert, bei Niederlagen können Welten zusammenbrechen. Spieler sind je nach Leistung entweder überlebensgroße Superhelden oder Komplettversager. Und wie die eigene Mannschaft am Freitagabend spielt, kann das Wochenende wahlweise retten oder ruinieren. Das alles weiß, kenne und verstehe ich.

Was ich dagegen nicht verstehe (und vielleicht auch einfach nicht verstehen will), ist übermäßiger Ehrgeiz bei Menschen, die deutlich unterhalb des Profiniveaus selbst kicken. Dass Leistungssportler gewinnen wollen und sich ärgern, wenn das nicht klappt, leuchtet mir ein. Wenn aber Verteidiger aus der Kreisklasse C das fröhliche Nachspielbier verweigern, weil sie mal wieder nicht zu null gespielt haben, kann ich nur mit dem Kopf schütteln.

Noch verwirrter bin ich, wenn mein inzwischen siebenjähriger Sohn nachhaltig frustriert und ehrlich wütend schnaubt »Ich bin der schlechteste Fußballer der Welt«, nur weil er auf dem hoppeligen Bolzplatz um die Ecke mal ausnahmsweise vorbeigeschossen hat. Das wundert mich nicht nur, weil es schlicht falsch ist (ich habe selbst lange genug in der Kreisklasse C gespielt, um das beurteilen zu können). Sondern auch, weil ich mich frage: Warum glaubt er, jeden Ball verwandeln zu müssen? Und wieso ärgert er sich viel mehr über Fehlschüsse, als er sich über Tore freut?

Ich selbst kenne diese Form der harschen Selbstkritik nicht. Meine Frau ist auch nicht so streng zu sich. Insofern kann ich ausschließen, dass er sich das Verhalten abgeschaut hat oder t. Wir treiben ihn auch nicht zu Höchstleistungen an. Anstatt ihm nach Misserfolgen das Gefühl zu geben, dass er uns (und sich) enttäuscht hat, loben wir ihn für Dinge, die er gut macht. Ich jubele über die vier Tore, die er schießt, und sage bei dem einen Ball, der nicht trifft, so etwas wie: »Macht nichts. Der nächste ist wieder drin.«

So mache ich das übrigens nicht nur bei meinem Sohn, sondern auch bei jedem Freizeitkick mit Freunden. Und das aus voller Überzeugung sowie aus der Erfahrung, dass es nicht leistungsfördernd ist, sich immer wieder zu sagen, wie schlecht man Dinge macht. Das gilt für jede und jeden Einzelnen ebenso wie für die Mannschaft.

Ich habe mich lange gefragt, wie ich reagieren sollte, wenn mein Sohn sich mal wieder zu sehr über einen Fehlschuss ärgert. Inzwischen bin ich dazu übergegangen, ihn einfach in Ruhe zu lassen, damit er die Enttäuschung mit sich selbst ausmachen kann. Das funktioniert glücklicherweise ganz gut. Mal beruhigt er sich schneller wieder, mal braucht er etwas länger.

Warum er manchmal so hart zu sich ist, weiß ich nicht. Kompensiert er damit vielleicht, dass ich ihn zu wenig kritisiere? Sollte ich etwas anders machen, damit er sich weniger scharf kritisiert und seine Erfolge und Fortschritte besser feiern und wertschätzen kann? Ich weiß es nicht, aber ich freue mich darauf, es weiter zu beobachten.

Wie ist das bei Ihnen? Haben Ihre Kinder Eigenschaften, die Sie von sich selbst nicht kennen und bei denen Sie sich fragen, woher sie kommen? Schreiben Sie mir gern an familiennewsletter@.de .

Meine Lesetipps

In dieser Woche möchte ich Ihnen Texte zu einem Thema empfehlen, das immer wieder kontrovers diskutiert wird. Es geht darum, wie Kinder Smartphones und Social Media nutzen. Ein Team von Kolleginnen und Kollegen aus dem SPIEGEL-Bildungsteam hat mit insgesamt neun Jugendlichen darüber gesprochen. Den sehr eindrücklichen Artikel finden Sie hier .

Sehr stark ist auch das Interview, das meine Kollegin Silke Fokken zum selben Thema mit der Schulleiterin Silke Müller geführt hat . »Grundschulkindern ein Smartphone zu schenken, müsste bestraft werden«, sagt Müller. Zudem fordert sie, dass sich Eltern mit der Technik und den Inhalten auseinandersetzen müssen, mit denen ihre Kinder konfrontiert werden.

Und weil es im Moment politische Debatten über Nutzung mobiler digitaler Geräte an Schulen gibt, habe ich mich in einem SPIEGEL-Leitartikel mit der Frage beschäftigt, ob ein generelles Handyverbot sinnvoll ist oder nicht. Vorsicht, Spoiler: Ist es nicht. Warum ich das denke, können Sie hier nachlesen .

Schließlich empfehle ich Ihnen noch einen Text, den einige von Ihnen geschrieben haben. Ich habe immer besondere Freude an Artikeln, die auf Einsendungen unserer Leserinnen und Leser beruhen. Vor einigen Wochen hatte ich Sie hier im Newsletter gebeten, uns Familienchats vom Beginn der Coronapandemie zu schicken. Daraus ist dieser schöne Artikel  geworden.

Mein Buchtipp

Beim Thema Literatur kann ich es mir in dieser Woche leicht machen. Das Kulturressort hat für den aktuellen SPIEGEL-Titel die »besten Bücher der Welt« zusammengestellt . Im Literaturkanon darf natürlich einer nicht fehlen: Harry Potter.

Meine Kollegin Eva Thöne schreibt über die Potter-Erschafferin J.K. Rowling, sie »besitzt die Fähigkeit, umfassend von Erfahrungen und inneren Zuständen zu erzählen, die das Handeln von Menschen prägen. In ihren Büchern ist alles fremd und vertraut, die Figuren darin kennt man oder ist man selbst«. Besser hätte ich es ohnehin nicht formulieren können, deswegen probiere ich es gar nicht erst. Hier finden Sie Evas kompletten Text .

Das jüngste Gericht

Die Sonne scheint, es fängt an zu blühen . Kurz: Es ist Frühling. Höchste Zeit für ein echtes Frühlingsgericht. Wie wäre es mit diesem herrlichen Lauchgratin aus dem Rezeptarchiv unserer Kochkolumnistin Verena Lugert? »Es ist das schnellste und einfachste Gericht, das man sich vorstellen kann«, schreibt Verena. »So leicht, so frühlingsfrisch.« Guten Appetit!

Mein Moment

In meinem letzten Newsletter schrieb ich, dass Männer die besseren Frauen wären – und andersherum. Ich bekam eine Reihe sehr schöner Zuschriften. Vielen Dank dafür! Ich habe es leider bisher nicht geschafft, alle zu beantworten.

Ein Leser schrieb:

»Ich hatte viel Freude beim Lesen des Artikels. Das liegt daran, dass ich mich darin wiederfinde. Auch ich fand die klassische Rollenaufteilung schon im Oberstufenalter absurd und habe einen Masterplan für das Leben verfasst, der gegen den Mainstream war. Allerdings in anderer Form. Ich wollte nämlich beides: einen spannenden Job und Zeit mit der Familie. Es schien mir nahe liegend, eine Partnerin zu suchen, die es ähnlich sieht.

Bei uns hat es tatsächlich geklappt. Meine Frau hat als Informatikerin eine leitende Funktion bei einem Weltkonzern in Erlangen und ich als Cybersecuritytyp – überwiegend aus dem Homeoffice – bei einem Weltkonzern in Wolfsburg. Beide in Vollzeit. Wir haben drei Kinder zwischen 5 und 15. Als vor einigen Jahren eine Mama aus dem Kindergarten, die in der Familienberatung arbeitet, zu uns sagte: ›Ihr seid die einzige Familie, die ich kenne, bei denen 50:50 tatsächlich gelebt wird‹, war das für mich eines der schönsten Komplimente meines Lebens.«

Er schrieb weiter, dass er es schade findet, dass wir über Vereinbarkeit oft nur schreiben, was nicht funktioniert, anstatt auch mal von Familien zu berichten, bei denen es klappt. Und weil er da absolut recht hat, ist es möglich, dass sie demnächst mehr von ihm und seiner Familie lesen – als Positivbeispiel.

Herzlich,
Ihr Malte Müller-Michaelis

Enttäuschter Fußballspieler: Woher kommt der überzogene Ehrgeiz?

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djedzura / iStockphoto / Getty Images

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