Der Kiel-»Tatort« im Schnellcheck
Das Szenario:
Die Rache des Ödipus. Seit 40 Jahren erträgt Robert (August Diehl) den Liebesterror seiner Mutter Elenor (Corinna Kirchhoff), die ihn mit koketten Ermahnungen und in durchsichtigen Negligés durchs Vorstadteigenheim scheucht. Dann erdrosselt der Junge die Alte. Kein einfacher Fall für Borowski (Axel Milberg) und Sahin (Almila Bagriacik), da Robert die Leiche zerhackt und in die Kieler Förde schüttet. Nur den abgetrennten Kopf stellt er sich ins Aquarium, wo fortan der Kot der Goldfische auf Muttern rieselt. Ob Borowski den unappetitlichen Fall in den vier Tagen bis zu seinem Renteneintritt gelöst bekommt?
Der Clou:
Back to black. In seinen besten Tagen waren Borowski-»Tatorte« sonderbar zärtlich daherkommende Psychothriller, in denen Gewalttäter ihren Opfern oft pervertierte Formen der Zuneigung zukommen ließen. So war es etwa bei der Altenpflegerin, die sich hingebungsvoll im Sommerkleid durch Kiel mordete. Oder bei dem samtpfotigen Psychokiller Kai Korthals, der sich als Schutzengel seiner Opfer aufspielte. Beide Figuren waren von dem Drehbuchautor Sascha Arango erfunden worden, der nun auch diese kaltschweißige freudianische Krimi-Perle entwickelt hat. Ein angemessen feierlicher Ausstand für Axel Milberg, der nach über 20 Jahren als Kommissar Borowski beim »Tatort« aufhört.
Das Bild:
»Haupt der Medusa«. Borowski kreuzt hier mehrmals den Weg einer Künstlerin, die eine Version von Caravaggios berühmtem Rundschild-Gemälde auf die Straße malt. Und Corinna Kirchhoff als Mutter erinnert mit ihrem aggressiv verdrossenen Gesicht und ihren schlangenhaft abstehenden grauen Haaren ebenfalls an das sagenhafte Monsterweib, dessen Antlitz die Menschen angeblich zu Stein verwandelte - und die von Perseus dann doch noch enthauptet werden konnte.
Der Dialog:
Elenor und Robert beim Lammgulasch, das der Sohn gekocht hat. Die Mutter beginnt eine Standpauke.
Mutter: »Warum machst du dich so klein, kein Wunder, dass dich keiner anruft. Und lass das Nägelkauen! Keine Freundin in 40 Jahren! Wer gratuliert dir zum Geburtstag?«
Sohn: »Bitte, Mutti, lass doch …«
Mutter: »Keiner! Da bist du aber selbst dran schuld. Du musst dieses Muttersöhnchen-Image ablegen.«
Sohn: »Hat es dir geschmeckt?«
Mutter: »Nööööö, geht so. Kochen konntest du noch nie. Warum eigentlich nicht? Was ist so schwer daran?«
Die Musik:
Theremin-Spuk von der österreichischen Klangkünstlerin Dorit Chrysler . Die Musikerin hat schon mit Avantgardegrößen wie Swans, Foetus und Elliott Sharp zusammengearbeitet. Ihre B-Movie-artigen Soundscapes fügen sich bestens in diese Sinfonie der Anomalie.
Die Bewertung:
9 von 10 Punkten. Brachial ödipal, ironisch erotisch – der perfekte Abgang für den Abgrundausloter Borowski.
Die Analyse:
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»Tatort: Borowski und das Haupt der Medusa«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
Das Gemälde »Haupt der Medusa« von Caravaggio: »Bitte, Mutti, lass doch …«
Foto: Mondadori Portfolio / Hulton Fine Art Collection / Getty Images